Platte des Jahres
Zum allerersten Mal seit die CD-Revolution FreundInnen der Musik so nachhaltig über den Tisch gezogen hat, dass man heute bei einem Preis von 44 D-Mark für ein Doppelalbum keinen Schluckauf bekommt, sei festgestellt: diese Platte ist ihren Preis nicht nur wert, sie ist ein Schnäppchen. Allein schon, weil etwas mitgeliefert wird, das von sich behauptet ein Booklet zu sein, aber tatsächlich ein Buch ist, in dem aus Songzeilen Comics wurden. Bei den Papierpreisen heutzutage würde das alleine schon 12 Euro kosten. Aber genug vom Mammon, hier geht es schließlich um's Eingemachte, will sagen, um die Stimme einer Sängerin, die sich um ihr eigenes Gitarrenspiel windet, wie einst die Schlangen um Laokoon. Oder umgekehrt. Mit anderen Worten, die Melodien begeben sich hier in ein Wechselspiel aus Harmonien, die immer auch den doppelten Boden des Trügerischen ahnen lassen und aus einer Melancholie (gespeist aus den Widersprüchen des Lebens, zwischen damals und hier, zwischen dem verkannten Berliner Stadtteil Karlshorst und den realexistierenden Neuauflagen der German Angst), die sich nicht selbst genug ist, aber eine diebische Freude daran hat, wie sie hier in Worte gefasst wurde. Diese neun Lieder plus Epilog taugen zu Ohrwürmen, stecken voller Zeilen ("Hoffe, dass wir noch nicht war'n"), die man sich in Waschlappen (fürs Gesicht) sticken möchte, verweisen auf Spiellust, einen durchaus strengen Gestaltungswillen, der auch noch einen weiten Horizont eröffnet und ein unbestimmtes Gefühl - so kitischig wie dieser Satz ist die ganze Platte kein einziges Mal - von Freiheit. Um "Ein(en) Freund", Track Nummer 1, zu zitieren: "Lass doch die ganze Wühlerei." Einfach hören. Zum Beispiel bei gehobener Zimmerlautstärke mit geöffnetem Fenster. Besser wird es kaum mehr werden. P.S. So gut hat ein Waldhorn zu keiner Musik mehr gepasst, seit Yo La Tengo "Black Flowers" besangen. (Grob geschätzt)