Ja, aber ...
Georg Solti war der letzte große Dirigent, der Richard Strauss persönlich kannte. Das merkt man auch an seinen Einspielungen. Es gab eine CD-Box mit den Opern, die eher heterogen ist. Ein "Rosenkavalier", der einfach keine Empfehlung sein kann, bis hin zu den Meilensteinen "Elektra" und eben "Salome" spannt der Bogen. Strauss selbst nannte die Oper "ein Scherzo mit tödlichem Ausgang". "Salome" ist nicht nur über weite Strecken urkomisch, wie allein die Kabbeleien zwischen Herodes und Herodias zeigen. Wie Salome Jochanaan "anmacht", ist nicht nur primitiv. Salome, Herodes und Herodias benehmen sich so, als ob Total-Durchgeknallt-Sein nicht nur schön, sondern ganz einfach Pflicht ist. Strauss auf dem Höhepunkt seiner Kraft hat das alles genial in Stimmen und Orchesterklang umgesetzt. Die Aufnahme brilliert mit einem ausgesuchten Überalles-Ensemble bis in die kleinste Partie. Allein Gerhard Stolze hat sich mit seinem durchgeknallten Herodes und seinen Verrücktheiten ein Denkmal gesetzt. Über allen thront Birgit Nillson. Die Wiener Philharmoniker tun das Ihrige dazu. Die Originals-Abmischung klang mir insgesamt sehr ausgewogen, nur der Jochanaan, auch wenn er in der Zisterne ist, einfach zu entfernt und verschwommen. Am meisten "gestört" an der CD-Version hat mich immer der schmerzhafte Wechsel im Juden-Quintett. Also hoffte ich auf die Blu-ray-Ausgabe. Im folgenden referiere ich nur die BRA, nicht die begleitenden CDs.
Von all meinen BRAs ist diese die mit der mit Abstand größten dynamischen Bandbreite. Selbst die fantastische BRA von Kleibers "Traviata" hat im letzten Bild keine solche. Die ersten fünf Minuten war ich nur damit beschäftigt, am Lautstärkeregler zu versuchen, eine Stellung zu finden, bei der ich die leisen Stellen noch höre, die lauten aber noch erträglich sind. Der Jochanaan kommt tatsächlich präziser, das ist gewonnen. Aber: diese Abmischung bringt klar zu Gehör, dass die Aufnahmetechnik 1961 den Explosionen von Frau Nilsson und der Wiener Philharmoniker nur unzureichend folgen konnte. Der Verzerrungen sind zu viele da, wenn auch nicht so extrem wie beim Verdi-Requiem der EMI mit Giulini. Selbst die DECCA mit ihrem Decca-Sound war also nicht immer perfekt. Die Verzerrungen bei der BRA reduzieren also das Vergnügen an der Referenzaufnahme der "Salome" zu einer anderen Seite hin.
Solti dirigiert, wie man ihn kennt, also hochexpressiv und explosiv. Es ist zu schade, dass die vermutlich beste "Salome" überhaupt nur in mono und das in einem extrem diffusen Watteklang vorliegt, nämlich Clemens Krauss live in London mit Frau Cebotari. Das ist zu dumpf, um es gerecht beurteilen zu können, eine Freude kommt hier mangels Klang nicht auf.
Es hat das Musik-Wien böse getroffen, dass die meisten großen Strauss-Opern ihre Uraufführung in Dresden hatten. Ich komme daher, seit Kempe in den Siebzigern in Dresden den Orchester-Strauss komplett aufgenommen hat, nicht umhin, mich vor diesem Zyklus tief zu verbeugen. Dieser Zyklus war, ist und bleibt Referenz in allen Aufnahmen! Hier ist auch der beste Tanz der Salome enthalten. Er hat nicht nur das erforderliche Maß an Erotik. Salomes Tanz ist gleichzeitig eine Parodie auf den Donauwalzer und ebenso eine tiefe Verbeugung von Richard Strauss vor diesem Walzer. An der Stelle, wo die Streicher unisono spielen, fällt das am allerstärksten auf. Die Warner als Erbin der EMI hat diese Aufnahmen komplett. Ich warte noch immer auf den Tag einer audiophilen Abmischung dieses Meisterzykus.