Ein Fest für Fans, aber natürlich nur für die
Vorab: bin ich Anderson/Tull-Fan und als solcher voreingenommen? Natürlich. Aber macht das eine Rezension nicht witzlos? Nö, so eine Box richtet sich ja ausschließlich an Leute wie mich. Wenn du das hier liest, aus Interesse oder zur Entscheidungshilfe, bist du im selben Verein, also willkommen im Club.
Was kriegt man also für das viele Geld?
1. Die Box und der Schuber: sehr stabiler Karton, der sehr viel länger halten wird, als es die durchschnittliche Lebenserwartung der Käufer erfordert (wer mag, darf sich hier ein Zwinker-Emoji denken).
2. Die Alben: kartonierte Cover, perfekt geschnitten und mit gefütterten Innenhüllen. Die Reproduktion farblich und im Druck sehr gut - hier hatte ich Bedenken bei den Alben, die es bisher nur im CD-Format gab. Allerdings gibt es keine Gatefolds, auch die Doppel-LPs stecken in einem Einfach-Cover. Ein bisschen schade, andererseits ist die Box auch so schon groß und schwer genug.
3. Das Vinyl: ein Traum. Buchstäblich, es ist kaum zu glauben, das es sowas im wahren Leben gibt. Alle LPs sehen aus wie gemalt, völlig fehlerfrei, plan und mit perfekt gestanztem Loch. Sie kamen ohne Papier- und Plastikreste und sogar fast völlig staubfrei aus den Hüllen. Einmal trocken mit der Bürste abwischen hat gereicht, und selbst das war eigentlich nicht nötig. Knacken, knistern oder schlimmeres gibt es an keiner Stelle. (Wer die Erstpressung von CCR in Woodstock kennt: diese Qualität.) Die 50+Minuten-Alben aus der CD-Zeit hat man auf dreiseitig bespielte DoLPs gepresst (seltsamerweise nicht Homo Erraticus, das es doch schon als DoLP gibt). Und wen es interessiert, ja, die Edgings auf den vierten Seiten sind recht schön.
4. Der Klang: erfreulich. Auch die Remasters klingen warm und gut, und natürlich gibt es keine Kompression und kein Loudness. Walk Into Light klingt um Längen besser als meine Original-LP und die später nachgekaufte CD. Homo Erraticus klingt trotz über 50 Minuten Laufzeit auf 1 LP tatsächlich so gut wie der Rest.
5. Die Boni 1: die Live-LP Roaming In The Gloaming enthält 12 unveröffentlichte Tracks, darunter einen bislang nicht bekannten Song, und natürlich ist kein Tull-Song dabei. Ich hatte eine nette Dreingabe erwartet, aber tatsächlich werde ich dieses Album viel öfter hören, als ich dachte. Soundboardaufnahmen sind kein audiophiles Highlight, aber das alles klingt erstaunlich gut.
6. Die Boni 2: das 96-Seiten-Booklet ist genau das, ein Booklet. Für den Preis hatte ich ein Hardcover oder jedenfalls festen Karton erwartet. Immerhin ist es sehr gutes Papier, sehr guter Druck und sehr gute Bindung, da wird nichts auseinanderfallen. Nach einem Vorwort von Anderson (in dem er erklärt, das Roaming In The Gloaming schottisch für einen Abendspaziergang ist und er selber nicht weiß, wieso er Thick As A Brick 2 und Homo Erraticus nicht als Jethro-Tull-Alben veröffentlicht hat) gibt es im ersten Teil Infos zu Entstehung und Geschichte der einzelnen Alben und in der zweiten Hälfte die Credits und Texte.
Und nun? Natürlich kann man das alles günstiger und sogar billig hören, bis aufs Livealbum kann man alles streamen. Das hier ist für den Fan, der es wirklich haben will sowie bereit und in der Lage ist, soviel Geld dafür auszugeben. Für den lohnt es sich tatsächlich.
Und was antwortet man denen, die einen fragen, wieso man sowas kauft: die Frage stellen heißt, die Antwort nicht verstehen.