Die Unzuverlässigkeit der Erinnerung
"Das Buch der Spiegel" von E. O. Chirovici ist ein Buch in einem Buch, aufgegliedert in drei Teile. Im ersten Teil der Geschichte verspricht der Erzähler Richard Flynn in einem unaufgefordert eingesandtem unvollständigem Manuskript mit dem Arbeitstitel "Das Buch der Spiegel" an Peter Katz, einen Literaturagenten, der für Bronson & Matters arbeitet, der Wahrheit der Ereignisse auf den Grund zu gehen, die zum Tod des charismatischen Professors Joseph Wieder im Dezember 1987 führte. Im Mittelpunkt standen damals Professor Joseph Wieder, Erzähler Richard Flynn und Laura Baines. Rückblickend beginnt seine Erzählung vor siebenundzwanzig Jahren, als er in Princeton Anglistik studierte und mit Laura befreundet war. Sie war es auch, die Flynn dem Professor vorstellte. Das Manuskript endet abrupt, ohne dass entscheidende Fakten des Tatherganges ans Licht kommen. Könnte die Geschichte, die Richard Flynn aufgeschrieben hat, wahr sein, oder haben die vergangenen Jahre seine Erinnerungen verfälscht, so dass er jetzt glaubt, die Wahrheit zu kennen? Oder will er am Ende selbst ein Geständnis ablegen? Immerhin zählte er damals eine Zeit lang zu den Tatverdächtigen. Peter Katz ist an dem Buch interessiert, das er einem Verlag anbieten will. Doch bevor er von dem Autor das komplette Manuskript erhält, stirbt dieser. Im Zentrum des zweiten Teils steht der Journalist John Keller. Er ist mit Peter Katz befreundet und wird von ihm beauftragt, den Rest des Manuskripts zu suchen. Keller spricht mit vielen Leuten, deren Geschichten sich alle widersprechen. Entscheidende Fakten kann er nicht finden. Er trifft sich mit dem pensionierten Polizisten Roy Freeman, der damals in dem Mordfall ermittelte. Freeman rollt das Verbrechen neu auf. Er wird es sein, der am Ende das Puzzle zusammenfügt.
Im Roman geht es um die Aufklärung eines alten ungelösten Falls. Vier Ich-Erzähler bieten ihre Erkenntnisse und ihren Blick auf die Ereignisse an. Was die Lektüre etwas mühsam macht, ist, dass sie sich gar nicht so sehr voreinander unterscheiden, jedenfalls haben sie im Roman keine klar erkennbare eigene Stimme. Zudem ist der Roman recht handlungsarm. Wechselnde Erzählperspektiven sind nicht grundsätzlich problematisch. Aussagen aus Flynns Manuskript ergeben zusammen mit den Entdeckungen von Katz, Keller und Freeman ein Mosaik, und man hofft, dass sich allmählich die Wahrheit abzeichnen wird. Doch dem ist nicht so. Stattdessen wird der Leser immer wieder auf falsche Fährten gelockt. Es ist alles anders. Alle irren sich. Chirovicis zentrale Thematik ist, unterstrichen durch das Proust-Zitat am Ende, unübersehbar: Unsere Erinnerung ist unzuverlässig, subjektiv sowieso, aber auch nicht immer wahr. Ich fand den Roman nicht uninteressant, aber überzeugt oder begeistert hat er mich auch nicht.