War hier ein Witzbold am Werk?
Erlaubt sich der Autor Klauspeter Bungert einen Witz? Tut es sein Protagonist Fred Reichel, der als Klassischer Musiker öffentlich auftrat, vor kurzem aber hinwarf, einen Hilfshausmeisterjob annahm und jetzt mit seinen Kollegen nicht mehr spricht? Oder führen beide ihr Publikum an der Nase herum? Ein gewisser von alarmierten Angehörigen beauftragter Hans Lorig soll die Gründe für das großen Schweigen herausfinden. In einer Serie von Zeugenaussagen – daher der Titel „Interview“ des mit Erzählung etwas verlegen eingeordneten Werks – entsteht ein facettenreiches, widersprüchliches und bis zu Ende kontrovers gehaltenes Panorama einer Persönlichkeit, einer Situation und einer Boykottkonstellation, in der sich mancher Leser wiedererkennen dürfte.
Mindestens ebenso plastisch wie der schweigende Protagonist treten bei ihren Aussagen die Auskunftgeber selber in den Blickpunkt. In dem, wie sie sich zum Protagonisten positionieren, in dem, was und wie sie etwas äußern, charakterisieren, manchmal auch: entlarven sie sich selbst. Es entstehen liebenswürdige, manchmal aber auch zwiespältige Porträts, angefangen bei dem isralischen Musikerehepaar Brod, das schon lange in Deutschland lebt und wie Pech und Schwefel zusammensteht, über den verbitterten Diabetiker und Bildkünstler Dünkel, über den philosophierenden Schauspieler Mahler, die von altplatonischen Idealen besetzte enttäuschte Verehrerin Landgrebe, den, längstes Kapitel und vielleicht Höhepunkt des Romans, werdenden Priester Schreiner mit dem Makel seiner tragischen Liebesaffäre im Gepäck, hin zum Fragesteller Lorig selber, der über seinen Recherchen auf einen neuralgischen Punkt in seiner eigenen Beziehung stößt und daran scheitert.
In alle diese Charaktere und Konstellationen denkt sich der Autor mit einer Vehemenz und Menschenkenntnis hinein, der man nur bei den Besten begegnet.
„Interview“ ist nicht das Erstlingswerk des von Aufträgen als Pianist und Organist im Trier-Luxemburger Raum lebenden Bungert. Seine inzwischen erschienene Dramenausgabe, ebenfalls bei 28 Eichen, enthält zum Teil weit früher zurückreichende Texte. Aber „Interview“ wurde sein literarisches Debüt.
Nimmt man, wie diese kargen Angaben nahelegen, an, dass Fred Reichel autobiografische Züge trägt – Bungert hätte sie sicher auch kaschieren können, aber wozu? – , wundert man sich und schmunzelt doch, wie sich hier ein Denkender auseinandernimmt, ohne Skrupel, selbstironisch, ehrlich und witzig. Ja, das Buch hat Witz. Grimmigen Witz. Spielerischen Witz. Bereits die Konzeption ist witzig. Sie steht nicht ohne Vorbilder da, man denke nur an die Eröffnungsakte des „Tartuffe“, gewiss, aber in ihrer spielerischen Potenzierung ist sie neu. Und sie erfordert einen Leser mit Witz, einem höchst ausgeschlafenen Witz, der andererseits aber auch die Empathie aufbringt, fremdartige Denkarten und prekäre Verwicklungen zu ertragen.