Gottlieb Muffat - ein Komponist zwischen den Zeiten
Lange hat es gedauert, bis Gottlieb Muffat wieder ins Unterbewusstsein der Musikwelt getreten ist. Seine bekannteste Sammlung „12 Toccaten samt 72 Versettl“ waren in Form von Noten lange Zeit vergriffen und adäquate Aufnahmen gab es schon gleich zweimal nicht.
Erfreulicherweise hat diese Zeit ein Ende und man darf nun auch andere Werke dieses Komponisten auf CD genießen.
Die hier vorliegende Einspielung hat für mich eine kurze und eine lange Seite.
Die Kurze:
Dem an barocker Orgelmusik interessierten „Liebhaber“ sei diese CD wärmstens empfohlen.
Die Lange:
Wer sich die Lebensdaten von Gottlieb Muffat vor Augen führt und Musik des „empfindsamen Stil“ erwartet, dem wird diese Erwartung nur bedingt erfüllt werden. Musikgeschichtlich betrachtet ist Muffat kein Einzelfall, dennoch ein kniffliges Phänomen. Seine Kompositionsweise könnte man auf folgenden Nenner bringen: Zu alt, um neu sein und zu neu, um alt zu sein. Man kann sogar noch einen Schritt weitergehen und sie als konservativ einordnen. Gottlieb Muffat selbst hat sich jedoch nicht beirren lassen und schrieb qualitative Werke, wie er sie als geschmackvoll empfand. Musikalisch gesehen ein „bunter Vogel“. Und diese „Buntscheckigkeit“ ist auch die Herausforderung, die der Interpret meiner Meinung nach bewältigen muss.
Da ist einerseits die Vorliebe für die Vermischung des französischen und italienischen Stils, die süddeutsche Orgel als Klangideal, eine Vielzahl an einzelnen Stücke, die überzeugend registriert werden wollen. Und diese einzelnen Parameter sind sich auf den ersten Blick nicht immer wohlgesonnen. Man wird also immer sowohl eine Entscheidung als auch einen Kompromiss finden müssen, die oder der dem einen gefällt und dem anderen nicht.
Ich finde es eine gute Entscheidung, die Johann David Sieber-Orgel aus dem Jahre 1714 für die Aufnahme ausgewählt zu haben. Sie ist ein großes, sehr klangvolles und farbenreiches Instrument in „süddeutscher“ Bauart. Sie wurde zudem 1987 von Jürgen Ahrend restauriert. Die ungleichstufige Temperierung (modifiziert Werckmeister) steht dem Instrument sehr gut zu Gesicht und verleiht den eingespielten Stücken einen passenden Charakter. Ob der Größe der Sieber-Orgel lassen sich auch ein Bordun 16 Fuß im Hauptwerk und ein Fagott 8 Fuß im Rückpositiv finden. Register, die für gewöhnlich in der „klassischen“ Orgel aus Süddeutschland selten zu finden sind. So böte sich
z. B. auch die Möglichkeit annähernd „französisch“ zu registrieren.
Für mich sind deshalb in Bezug auf griffige, zupackende Spielweise und adäquate Registrierung die Titelnummern 3, 6, 12, 13, 14, 16 und 22 am überzeugendsten. Merkwürdige bzw. „neobarocke“ Registrierungen finden sich in den Titeln 11, 23 und 24. Natürlich ist in zeitgenössischen Handreichungen die Rede von der Verwundung solcher „Spaltregistrierungen“, dennoch hätte ich es naheliegender gefunden, noch etliche französische Registrierungscharakteristiken wie z. B. das „Fond d’orgue“, was auf dieser Orgel möglich gewesen wäre, zu verwenden. Hinzu kommt, dass die Stücke mit den „exotischen“ Registrierungen für mich musikalisch aussageloser oder gar hilflos wirken.
Volle Sternenzahl konnte ich deshalb nicht vergeben, weil der in manchen Stücken üppige Pedalgebrauch süddeutsch untypisch ist und ich cembalistische Manieren auf der Orgel als nicht geschmackvoll erachte.
Zusammenfassung:
Sowohl dem, der die Musik Gottlieb Muffats kennenlernen möchte, als auch jenem, der sie bereits kennt und schätzt, sei diese interpretatorisch licht- und schattenreiche CD als eine Möglichkeit empfohlen.