Bach auf Akkordeon - das geht, sehr gut sogar
Johann Sebastian Bach muss sich immer wieder neue Bearbeitungen gefallen lassen. Das Erstaunliche dabei ist: es bleibt immer Bach. So auch auf dieser CD mit Bearbeitungen für Akkordeon. Dadurch, dass ich bereits in einer Fußgängerzone Akkordeonspieler erlebt habe, die teils die großen Orgelwerke Bachs auf ihren russischen Knopfakkordeons in erstaunlicher Klangfülle und Werktreue gehört habe, erstaunt mich diese Aufnahme nicht dadurch, dass Viviane Chassot die Werke ebenfalls auf einem russischen Knopfakkordeon spielt, sondern eher dadurch, dass sie den Werken neue Farben und Charakteristiken entlockt, die so bislang nicht zu hören waren. Das beginnt auf bestürzende Weise mit Präludium und Fuge c-Moll aus dem Wohltemperierten Klavier. Die Sechzehntelbewegungen im Präludium erscheinen wie für das Akkordeon komponiert, die Wellenbewegungen üben geradezu einen Sog auf den Hörer aus; er fühlt sich hineingezogen wie in einen Strudel. Durch die ausgefeilte Dynamik, die auf dem Akkordeon möglich ist, bekommen die Werke eine zusätzliche Dimension. Besonders anrührend gelingt dies im Andante aus dem Italienischen Konzert. Es wird zu einer seismographischen Darstellung von düsterer Emotionalität. Der darauffolgende Satz wirkt wie ein Erlösung aus der Schwermut des Andante. Die offenbare Lust der Interpretin an der Komposition und an ihrem Spiel ist schlicht mitreißend. Auch hier werden verschiedene Abschnitte durch dynamische Variationen und musikalische Abläufe durch sorgfältige Abschattierungen nachvollziehar. Die Allemande der Französischen Suite Nr. fünf erklingt geradezu zärtlich, ähnlich im Präludium der Partita B-Dur. Auch hier ist der Gegensatz zum Allemande ohrenfällig und mitreißend. So könnte man fortfahren und Werk für Werk nach seiner Intensität und Emotionalität untersuchen. Die Musikerin versteht es meisterhaft, die den Werken innewohnende Vitalität zu erkennen und darzustellen. Dabei bleibt sie einer angemessenen Transparenz treu. Die Interpretin versteht es hervorragend, die Möglichkeiten ihres Instruments in den Dienst ihrer Interpretation der Werke zu stellen. Man könnte den Eindruck gewinnen, wenn Bach das Akkordeon schon gekannt hätte, hätte er genauso dafür komponiert.
Von der historisch informierten Aufführungspraxis ist diese Aufnahme natürlich so weit entfernt, wie dies nur möglich ist. Puristen werden die Nase rümpfen, nicht nur wegen des Instruments, sondern gleicherweise wegen der „romantischen“ Einfärbung der Interpretation. Dennoch hat sie ihr Recht in der zwingenden Intensität des Spiels und der Entdeckung der interpretatorischen Möglichkeiten, die die den eingespielten Werken innewohnen. Wer das Außergewöhnliche liebt, kommt an dieser Aufnahme nicht vorbei.