Gerhard Oppitz spielt fast den ganzen Schubert für Klavier solo ein
Gerhard Oppitz, Meisterschüler des großen Wilhelm Kempff und schon mit einer großartigen Einspielung des gesamten Johannes Brahms für Piano solo hervorgetreten, spielte zwischen 2007 und 2009 auf zwölf CD´s fast den ganzen Franz Schubert für Klavier solo für das Label Hänssler Classic ein. Und es sind diese zwölf Einzel-CD´s im preisgünstigen Gesamtpaket, die hier zur Besprechung anstehen. Wenn einmal das Label eine Gesamtveröffentlichung in einer Papp-Box veranstalten sollte, wird sich an der Musik vermutlich nichts ändern, es werden aber die zwölf instruktiven Einzel-Booklets und die darin enthaltenden Informationen fehlen. Diese kleinen Büchlein, die die Hinweise zur Entstehung der Werke und zu Schuberts Intentionen zuerst in Deutsch und dann noch in englischer Übersetzung geben, liefern aber eine willkommene und keinesfalls entbehrliche Zukost zu den erklingenden Werken.
Diese Ausgabe von und mit Gerhard Oppitz offeriert fast den ganzen Schubert für Klavier allein: es fehlen neben den Klavierwerken für vier Hände auch einige Versuche und Fragmente aus der allerfrühesten Zeit ab 1811, so etwa das Andante in C von 1812. Das Herzstück der Sammlung sind selbstredend die vollständig eingespielten Sonaten und die späten Charakterstücke (die "Moments musicaux" und die "Impromptus") sowie eine gelungene Wiedergabe der "Wanderer-Fantasie". Gerade auch die für Schubert typischen Variationen und Tänze nimmt Oppitz ganz ernst in ihrer Eigenständigkeit: Nie wirkt die Wiedergabe wie ein Ableisten einer Pflicht oder etwas herablassend, als wenn es sich um Petitessen handelte.
Nehmen wir die Sonate in B-Dur, D 960, die Schubert in den letzten Wochen vor seinem Tod schrieb: der erste Satz, schlendernd, steht auf formal sicherem Boden, das Untergründige kündet sich gewissermaßen zwischen den Zeilen an. Der zweite Satz, in cis-Moll, der Tonart der Bußklage, läßt einen Gesang aus dem Inneren hören, der sich materialisiert, aber im Ertönen nicht aufgeht, nicht aufgehen darf. Was hier von Schubert an leerer Zeit, stillstehender Zeit, mitkomponiert hat - und man darf hier durchaus voraus an die Sinfonien Anton Bruckners denken - das muß interpretatorisch eingeholt werden. Und das geht nur, wenn das Sterbenstraurige nicht affektiv-süßlich, sondern philosophisch genommen wird. Schubert lag im Sterben, ihn konnte diese Musik nicht trösten, auch wir sollen und wollen nicht eingelullt werden, wir wollen, mit einem starken Wort, erweckt werden. Oppitz eröffnet den Blick in die Doppelbödigkeit und in die seelische Tiefendimension von Schuberts Klaviermusik, auch und gerade dann, wenn man die Einspielungen von Wilhelm Kempff, Alfred Brendel und Maurizio Pollini kennt und schätzt!