Nur für "Met"-Begeisterte
"Historisches Tondokument", live aufgenommen für die "Standard Radio Hour" am 13. Januar 1945. Wer das liest, muss wissen, was hier auf ihn zukommt: Die live gesendeten Aufführungen aus der "Met" wurden in den Kriegsjahren auf Metallplatten mitgeschnitten, die, nachdem sie bereits in einen ziemlich schlechten Zustand geraten waren, von Liebhabern auf Tonband überspielt wurden. Welche Quelle genau Cantus Classics verwendet hat, wird nirgends im Beiheft angegeben, aber man hört alles, was man bei einer solchen Geschichte erwarten würde: nicht nur etwa Neben- und Bühnengeräusche, sondern allerlei Kratz- und Klickgeräusche sowie das Rillenrauschen der 78er Platten. Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass man trotzdem die Aufführung hören und einigermaßen genießen kann: Vermag man innerlich die Geräuschkulisse auszublenden, dann merkt man, dass die Aufnahme damals gar nicht so übel war.
Allerdings hat man die Mikrofone so aufgestellt, dass die Stimmen stark im Vordergrund stehen, das Orchester scheint nur eine unbedeutende Nebenrolle zu spielen. Zudem sind die kräftigen Männerstimmen, allen voran von Lawrence Tibbett, aber auch der berühmte Stentorbass von Alexander Kipnis, so direkt eingefangen, dass es auch noch zu Verzerrungen kommt. Einzig die drei weiblichen Darstellerinnen (Bidù Sayao als Mélisande, Margaret Harshaw als Geneviève und die knabenhafte Lilian Raymondi als Yniold) werden so eingefangen, dass ihre Stimmen natürlich klingen.
Emil Coopers Aufführung versucht (aus meiner Sicht), ein wenig zu realistisch zu sein. Maeterlincks vielschichtige Parabel ist so märchenhaft, dass ich gut und gern auf Effekte wie das Schluchzen der Mélisande hätte verzichten können. Die französische Aussprache einiger der Kontrahenten, allen voran Lawrence Tibbett, ist, wahrscheinlich aufgrund des Dauervibratos, kaum verständlich, und die äußerst knappe Zusammenfassung der Handlung im Beiheft hilft hier nicht unbedingt weiter. Auch Liebhabern historischer Opernaufnahmen sei empfohlen, sich eine etwas neuere Studio-Aufnahme, möglichst mit Libretto, zuzulegen.
Positiv zu vermerken ist die Fertigungsqualität der CDs, die mein sehr wählerischer SACD-Player von Marantz ohne Probleme auslesen und sehr klar wiedergeben konnte.
Anmerkung: Eine "Gesamtaufnahme" ist das hier nur bedingt. Wie damals üblich hat die "Met" Schnitte vorgenommen, so beispielsweise die Yniold-Szene im 4. Akt. Gesamtspieldauer ca. 130 Minuten. Der Applaus wird schnell ausgeblendet, die Rundfunkkommentare ganz weggelassen. Ein Glück!