Fulminant
Alte-Musik-Fans denken sofort, wenn von der Viola da gamba die Rede ist, an zwei Männer, die zum Urgestein der Originalklangbewegung gehören: Jordi Savall und Wieland Kuijken. Beide sind Gambenvirtuosen, beide haben Suiten aus dem 5. Buch von Marais aufgenommen - Savall 1982, Kuijken 1987. Ihre Versionen weisen sowohl Unterschiede als Ähnlichkeiten auf. Marais hat es dem Aufführenden überlassen, aus den vielen Tänzen und Charakterstücken seiner Sammlungen selbst Suiten zusammenzustellen, so dass es nicht verwundert, dass Wieland Kuijken eine andere Auswahl getroffen hat als Jordi Savall. Einige Stücke sind allerdings auf beiden Aufnahmen zu hören, so z. B. das berühmte Charakterstück "Le tableau de l'operation de la Taille", das Wieland Kuijken sehr ausführlich und sehr plastisch präsentiert, während Jordi Savall das Ganze eher im Eiltempo abwickelt. Wie allerdings Nikolaus Harnoncourt dieses Stück zu den "Komödiantischen Stücken" des Barock zählen konnte, ist mir ein Rätsel - wenn ich alles richtig verstanden habe, muss einem hier das Gruseln überkommen, keineswegs das Lachen.Wieland Kuijken zeichnet hier exzellent nach, wie Marin Marais alle Möglichkeiten der Gambe erkundet. Es gibt einen fulminanten "Dialog", ein teils energisch gezupftes Rondeau und eine "La Poitevine", bei der die Bässe so grummeln, dass sogar meine Kompakt-Lautsprecher mein ganzes Wohnzimmer zum Beben brachten. Die Aufnahme ist klar und direkt (zwischendurch hört man etwas Verkehrslärm im Hintergrund), Kaori Uemura und Robert Kohnen als Begleiter geben jeweils eine sehr gute Figur ab - das ist Musik, die man sich in stillen Stunden öfters antun kann! Schade nur, dass der Beiheft-Aufsatz sich in Allgemeinheiten ergeht und auf die meisten hier gespielten Stücke überhaupt nicht eingeht. - Mein Tipp: Besorgen Sie sich beide Aufnahmen, diese und die etwas ältere von Jordi Savall.