Reger - hier lernt man ihn kennen, aber nicht lieben.
Ich habe einige Schwierigkeiten bei der Bewertung dieser ersten Gesamtaufnahme der Orgelwerke Regers. Einerseits möchte ich die Pionierleistung und Großtat von MDG und Frau Haas nicht schmälern, komme aber jetzt, da in jüngster Zeit neue Gesamtaufnahmen entstehen, nicht umhin, einige kritische Bemerkungen abzugeben, die aus meiner Sicht und Erfahrung einem angehenden Reger-Liebhaber nützlich sein könnten.
Vor gut 20 Jahren kam ich mit dieser Aufnahme in Kontakt - damals noch in Form der Einzel-CDs. (Die Einzel-CDs hatten ein sehr ausführliches Booklet, welches ich mit 5 Sternen bewerten würde. Da ich das Booklet der vorliegenden Box, die alle 12 + 2 CDs der Einzelaufnahmen enthält, nicht kenne, habe ich mich hier der Bewertung enthalten.) - Ich hatte zur damaligen Zeit vorher noch nichts von Reger gehört - meine musikalischen Erfahrungen hatten erst bis Bruckner und Mahler gereicht. Die eigenwillige Regersche Tonsprache war daher für mich mit diesen Aufnahmen erst einmal etwas verstörend. Zu schnell und zu ruhelos schienen die Harmonien einander jagen zu wollen, so dass mir bei manchem Stück mitunter die Assoziation von "Lärm" in den Sinn kam. Ja, ein Großteil der eingespielten Stücke hatte sich mir - auch nach mehrmaligem Anhören - zunächst nicht erschlossen. Und das, obwohl mein musikalisches Interesse auf Kontrapunkt und Polyphonie lag. So kannte und liebte ich damals bereits das Orgelwerk J.S. Bachs (vor allem die Fugen).
So hatte ich denn auch mit den Regerschen Orgelfugen in dieser Aufnahme noch den besten Zugang. Einige der Stücke hatten mich förmlich in ihren Bann gezogen. Neben den Paradebeispielen hatten es mir einige "Nebenwerke", so z.B. die a-moll-Fuge aus op. 69 oder die großartige, fast im Miniaturformat gearbeitete, aber dennoch grandios ausklingende Doppelfuge F-Dur aus op. 85 angetan. - Aber erst durch die eigene Beschäftigung mit dem Notentext und späterem Spielen (zumindest dieser beiden kleinen Werke) hat sich mir die ganze Schönheit der zunächst etwas krude erscheinenden Harmonik erschlossen. Ein ganz wesentlicher Schlüssel zum Begreifen dieser Schönheit liegt aber im angemessenen Tempo. Der Hörer muss gerade bei einer so komplexen und rasch wechselnden Harmonik die Möglichkeit des Verstehens bekommen. Das braucht Zeit. Zeit, die nicht vorhanden ist, wenn die Stücke im D-Zug-Tempo gespielt werden, wie es bei vielen der vorliegenden Stücke für mein Empfinden der Fall ist. (Bereits Reger selbst hatte zu seinen Lebzeiten darauf hingewiesen, dass seine Spielanweisungen - insbesondere hinsichtlich des Tempos - nicht allzu wörtlich zu nehmen seien; Hauptsache sei, dass alles "recht ruhig" gespielt würde.)
So hat mich - von den meisten Fugen einmal abgesehen - vor allem ein zu rasches Tempo der Werke lange Zeit davon abgehalten, mich näher mit den (übrigen) Orgelwerken Regers zu beschäftigen. Der Klang der CDs ist hingegen - typisch für MDG - ausgezeichnet. Auch die verwendete Orgel klingt sehr transparent. Allerdings fehlte mir immer ein bischen "Wärme". - Diese habe ich, gekoppelt mit generell gemesseneren Grundtempi, nun vor kurzem in zwei neu entstehenden Gesamtaufnahmen gefunden (vgl. Empfehlungen). Erst diese neuen Aufnahmen (neben einigen früheren Einzel-CDs von verschiedenen Interpreten) haben die Liebe und Faszinantion für das Regersche Orgelwerk neu und stärker entfachen können. Aus diesem Grund möchte ich denn auch keine Kaufempfehlung abgeben, sondern den Blick eher auf die neueren Einspielungen richten, die meiner Ansicht nach eher geeignet sind, Reger nicht nur kennen, sondern vielleicht auch lieben zu lernen.
Ich gebe zu, dass diese Bewertung nicht nur sehr lang, sondern auch sehr persönlich und damit subjektiv ist, aber vielleicht kann sie gerade denjenigen weiterhelfen, die entweder ganz am Anfang der Reger-Entdeckung stehen oder sich mit dieser Gesamteinspielung etwas "abplagen" (und nicht so recht wissen warum).