Eine Lücke der Musikgeschichte wird geschlossen - „Weißes Gold“ – Jubiläumsedition
Wie viele Alben mag es geben, auf denen eine Band ein und dasselbe Werk in vier Versionen dokumentiert, die in einem Zeitraum von 40 Jahren aufgenommen wurden? Das wird wohl einzigartig sein. Und wer das zu veröffentlichen wagt, muss von der Qualität seines Produktes und vom musikalischen Interesse seiner Fans absolut überzeugt sein. Glücklicherweise ist das hier wohlbegründet der Fall: Die Jubiläumsedition „Weißes Gold“ ist ein Ereignis!
Vor vierzig Jahren hörte ich das Werk zum ersten Mal im Rundfunk der DDR und dieser Eindruck war so nachhaltig, dass einige Textpassagen für mich heute immer noch präsent sind, obwohl die Worte von Kurt Demmler nach 1978 nie mehr zu hören waren. Ich habe damals allerdings nicht verstanden, warum die Stern-Combo von Norbert Jäger einen neuen Text schreiben ließ, der die poetische Qualität des Demmler-Textes in keiner Weise erreicht. Freilich ist er in seiner Plakativität merchandising-tauglicher…
Kurt Demmler stellt den Einzelnen auf seiner Suche nach Erkenntnis dem Interesse der Macht an der Produktion materieller Werte gegenüber. Er zeichnet den Weg Böttgers vom Scharlatan zum erfolgreichen Forscher nach, der auf ihm zwar nicht die Freiheit von äußeren Abhängigkeiten, wohl aber die innere Freiheit der Erkenntnis gewann – ein Gedanke, der recht offen die Situation mancher DDR-Bürger in dieser Zeit widerspiegelte. „Wo kommt die Liebe her? Wo ist der Mensch zu Haus'? Wo geht die Freiheit hin und woran glüht man auf?“ – diese Fragen stellt und beantwortet Demmler, bevor er ein Fazit zieht:
„Und alle Asche wieder und alles, was er tat,
schlägt auf die Erde nieder für die neue Saat, für die neue Tat.
Nein es ist nicht wahr, um das was er tat.“
Der letzte Satz ist freilich rätselhaft – genaugenommen ergibt er überhaupt keinen Sinn, ist aber in allen mir bekannten Veröffentlichungen im Netz so formuliert. Und er wird auf der Aufnahme tatsächlich so gesungen. Unklar.
Könnte es sich um einen Schreibfehler handeln? Nach dem alten Satz, dass Geschichte dadurch entsteht, dass einer vom anderen abschreibt, drängt sich mir dieser Gedanke auf. Kurt Demmler reimt „tat“, „Saat“, „Tat“, „wahr“, „tat“ – was soll das „wahr“ dazwischen? Und die Formulierung „Nein, es ist nicht wahr, um das, was er tat“ ist beim besten Willen kein korrekter deutscher Satz und er enthält für mich auch keinen inhaltlichen Sinn.
Das Reimlexikon bietet eine sinnvolle Alternative: „schad“. Dieses Wort passt grammatisch zu dem „um“ nach dem Komma: „Um“ etwas kann es schade sein, aber nicht „wahr“. Und auch inhaltlich passt es: Es ist nicht schade darum, dass Böttger sich in magischen Vorstellungen verrannt hatte, Irrwege gegangen ist – in einem argen Weg der Erkenntnis fand er Sinn und Bestätigung als der Forscher, der das europäische Porzellan erfand.
Mich interessiert, ob diese Vermutung zutrifft – oder ob es andere sinnvolle Deutungen gibt.
Damit habe ich als großes Verdienst dieser CD benannt, dass mit ihr die Urfassung des Werkes dokumentiert wird. Und gleichzeitig frage ich mich, warum nicht wenigstens in der Fassung von 2018 wieder auf den Demmler-Text zurückgegriffen wurde…
Aber egal: Die Musik versöhnt. Und erstaunlicherweise die Musik in allen vier Aufnahmen. Jede ist anders, jede hat ihre speziellen Schönheiten. Das dies so ist, verdanken wir neben den wunderbaren Musikern der Band den Klangzauberern Manuel Schmid (teilweise in Personalunion) und Joachim EROC Ehrig. Was sie aus den historischen Aufnahmen herausholten, ist atemberaubend. Schon die Rundfunkaufnahme von 1978 klingt vermutlich besser als am ersten Tag und zeigt, wie exzellent die Musiker der Sterncombo ihr damals noch recht neues elektronisches Instrumentarium bereits beherrschten und wie meisterhaft schon damals ihre Arrangements waren. In drei Aufnahmen hören wir Reinhard Fissler als Sänger, in der letzten Manuel Schmid, der seine eigene, schon unverwechselbare Interpretation einbringt – es ist, als würde ein Stafettenstab weitergegeben…
Ein Fazit: Diese CD ist mehr als ein Stück Musikgeschichte – sie gibt einem mittlerweile klassischen Werk des deutschen Artrocks und ihren kongenialen Interpreten den Platz, der ihm gebührt.
Leipzig, 21.10.2018 Bernd Friedrich