Die leichtigkeit und die Tragik
Franz Schubert / Hans Gál / Kindred Spirits
Symphony No. 6 in C (Schubert)
Symphony No. 1 in D (Gál); Avie Records AV2224
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Symphony No. 9 in C, “The Great” (Schubert)
Symphony No. 2 in F (Gál); Avie Records AV2225
Northern Sinfonia / Thomas Zehetmair
Die Leichtigkeit und die Tragik
Posthumer Ruhm, oder jedenfalls Anerkennung, zu der die Schallplattenindustrie auch beiträgt, verhelfen Komponisten aus ihrem einstigen Randdasein auf den Weg zur verspäteten Gerechtigkeit und Richtigstellung bezüglich ihrer Rolle als Vertreter einer überreichen Tradition. So auch Franz Schubert (1797 – 1828) und Hans Gál (1890 – 1987), beide prominente Söhne der Wiener Hochkultur, die hier in zwei neue CDs auf wunderbare Weise - in Gáls Fall mit Ersteinspielungen seiner ersten zwei Sinfonien - unter dem Motto “kindred spirits” (deutsch “verwandte Seelen”) zusammen geführt wurden.
Die Lebensgeschichten der Beidern zeigt anhand sehr harter Schicksalsproben deutlich, wie Urvertrauen in die eigene, unanfechtbare innere Stimme sich anstelle einer öffentlichen Würdigung behaupten mußte. Schubert schrieb viel - und scheinbar mühelos - zeitlos, schöne Musik; gelangte, vielleicht aufgrund seines übergroßen Zeitgenossen Beethoven, nur selten über private Freundeskreise hinaus zu Gehör und dazu starb er tragisch früh.
Hans Gál schrieb viel - und scheinbar mühelos - zeitlos, schöne Musik, erreichte als Komponist, Pedagog, Schriftsteller, Pianist und Musikwissenschaftler bereits in frühen Jahren hohes Ansehen und fand weite Verbreitung, verlor durch die NS-Machtmaschinerie alle Stellungen, verlor Familienangehörige und eine Lebensgrundlage, verlor sogar noch im Verlauf eines fast ein Jahrhundert währendes aktives Leben, - nach den zweifelhaften Kriterien und einer Neupositionierung in der musikalischen Nachkriegswelt zu urteilen - an musikgeschichtlicher “Relevanz”.
Die symphonischen Werke der getrennt erschienenen CDs lassen diese zwei Wiener Seelen, ihre Wesensverwandschaft und Unterschiedlichkeiten in einer Referenzqualität erstrahlen, mit einer Präzision und Farbigkeit des Klangbilds und des Musizierens, die den Komponisten wahrscheinlich zu Lebzeiten selten zu Ohren gekommen waren.
Schuberts Sechste (1818) ist das Werk eines gerade einmal Einundzwanzigjährigen. Sie atmet helle, italienische Frische und Lebenslust, die mit kammermusikartiger Musizierlaune auf der CD schön heraus gearbeitet sind. Ist die Tonart C Dur allein schon Programm, so ist die ansteckende Energie und Vielfalt der Ideen und ihrer Entwicklung mehr als zufällig eine Vorbereitung auf das spätere “große” C Dur der letzten Lebensjahre, die auf der zweiten (Doppel-) CD zu hören ist.
Gáls Erste Symphonie entstand 1927 als Beitrag zum Schubertjahr 1928 und war sie zwar nicht sein erster Versuch in der Gattung Symphonie, schien sie ihm aber als reifere Komposition vor dem Hintergrund seines damilgen Erfolgs, einer Nummer Eins würdig zu sein. Mehr als in seiner zweiten Lebenshälfte, die bis 1987 (!) größtenteils in Schottland verlebt wurde, ist die Musik seiner deutsch-österreichischen Jahre wirklich post-romantisch und eklektisch gewandet, der reichen Orchestermöglichkeiten bedienend, die es auf einem Zenit seiner Karriere gab: es tritt noch seine eigene kantable und raffinierte Stimme überall in Erscheinung, hinzu die sensible und sehnsüchtige Linearität und der entflammte rythmische Drive von Mahler, selbst wenn dieser auch bei Berg Schostakowitsch, Hindemith, Gerschwin, Martinu oder “les Six” in der gleichen Zeit Spuren hinterlassen haben mag. So ist Gál mehr als nur ein “Konservativer” und am Rettungsring der Tonalen Symphonik Klammernder. Die englische Northern Sinfonia unter Thomas Zehetmair liefert hochvirtuose Beweise dafür, wie gut eigentlich diese Musik sui generis ist: sie ist, wie die Aufnahme, anspruchsvoll, farbig, tiefsinnig, witzig und eigenständig.
Im zweiten Booklet liest man Worte der Würdigung Gáls zu Schubert. Worte waren für ihn auch ein geeignetes Ausdrucksmittel, derer er sich in vielen lesenswerten Büchern bediente, so auch “Franz Schubert und die Melodie” Suhrkamp,Frankfurt, 1970). Hingegen hat Schubert selber wenig auf die Macht seiner eigenen Wortreflexionen gesetzt und es mag dahingestellt sein, ob es stimmt, er wollte “dem episch-heroischen Ideal Beethovens”.... seine “durch keine Willensspannung getrübte Weltbetrachtung gegenüberstellen”. Vielmehr kann man diesen Satz als ein gewissermaßen persönliches Plädoyer seitens des Komponisten Hans Gál betrachten
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Jedenfalls entdeckt man in der “Großen” Neunten sehr viel vorsätzlich Instabiles und von innen her
Zerklüftetes, die Aufnahme legt dies meisterhaft (auch in der technischen Tonqualität!) nahe. Kammermusik für Symphonieorchester an des Messers Schneide. die Oberfläche, der Handlungsraum bleiben trotzdem warm und leuchtend und bis ins Zeitlose fortspinnend finde ich, bevor es dann mit der Zweiten Symphonie des späteren Österreichers weitergeht. Ein Werk der Kriegsjahre 1942-3 und wer komponierte in jenen Jahren je ohne den Druck der erschütternden Ereignisse und Erlebnisse mit zu vertonen? Eine spannende Frage. Die eigene Biographie ist aber bei Gál nie sein Erzählstoff gewesen, zumindest nicht vordergründig. Im einleitenden Andante – Adagio weht jedoch eine derart fragile und traurige Melancholie – daß das Brahmsche Kolorit, durchstochen von angstvoller Chromatik und Orgelpunkten fast wie ein Nachruf auf das Verlorengegangene wirkt. Eine Tragik lauert hinter leichtem – nie seichtem – Vorhang. Im zweiten Satz (allegro energico – molto moderato -) spürt man einen fast pastelartigen Hauch der Folklore der neuen Heimat, obwohl mit Gáls Orchesterfeder eher die Festlandtradition als das wogenden Wasserelement um die britischen Insel beschworen wird. Delius, Bax, Vaughan Williams & co, an die man zuweilen erinnert wird, fanden schließlich auch Inspiration im großen kontinentalen Mainstream. Der dritte Satz ( Adagio) könnte beinahe eine Filmpartitur liefern, hieß der Satz doch am Anfang auch “Elegie”. Hier wird eine üppig mäandernde Sinnlichkeit allein durch Gáls formales Gefühl und seine gewohnte vielstimmige Transparenz gelenkt. Lediglich den einen Ausbruch in der 7. Minute des Stückes habe ich in einer vergleichbaren Brutalität sonst nirgends bei ihm erlebt!! Selbst danach kann das joviale Hauptthema des letzten Satzes (Allegro moderato ma agitato) nicht ohne einen gewissen Zwang nach den einleitenden düsteren Harmonien seinen Weg in die “reine Musik” zurückfinden.
Die zwei Werkpaarungen Schuberts 6. mit Gáls 1. und Schuberts 9. mit Gáls 2. offenbaren keine Geheimbeziehung unbedingt, man freut sich aber über ein so künstlerisch anspruchsvoll gedachte und exekutierte Aufnahme von vier großen Symphonien der älteren und neueren Wiener Klassik, die jede(r) mal anders oder zum ersten Mal kennen und schätzen lernen soll, der über Kategorien und Vereinfachungen der Geschichtsschreibung hinaus gelangen möchte. Ein faszinierendes Projekt.
Nicholas Selo Okt. 2011.