Musikalischer Höhepunkt aus Pesaro
„Zelmira“ gehört zu den unbekannteren Opern Rossinis; der vorliegende Mitschnitt aus Pesaro, ist meines Wissens die einzige auf DVD/Blu-ray erhältliche Version. Meine Rezension bezieht sich auf die Blu-ray.
Zur Musik gibt es nicht viel zu sagen: Jeder, der gerne Rossinis anderen Opere serie (z. B. „Otello“, „La donna del lago“, „Semiramide“) hört, wird auch hier seine Freude haben. „Zelmira“ enthält aber auch für Rossini untypische Abschnitte, das nur von zwei Instrumenten (Englischhorn und Harfe) begleitete Duettino von Zelmira und Emma im 1. Akt sei hier bespielhaft genannt. Außerdem verzichtete Rossini ausnahmsweise auf Kopien ganzer Nummern aus früheren Werken. Das Libretto schrieb Andrea Leone Tottola nach dem französischen Drama „Zelmire“ von Pierre-Laurent Buirette de Belloy.
Die Sänger überzeugen auf ganzer Linie: Die Titelfigur Zelmira erfordert eine Darstellerin, die eine energische und selbstbewusste Frau, die gleichzeitig ihr Kind, ihren Vater und ihren Mann retten, und zahlreiche unterschiedliche Emotionen von Mutter- und Kindesliebe über Angst und Verzweiflung bis hin zu überschäumender Freude verkörpern muss. Kate Aldrich gelingt dies sehr überzeugend.
Ihr Ehemann Ilo wird von Juan Diego Flórez mit wie üblich strahlenden und dabei anscheinend völlig mühelosen Spitzentönen stimmlich überragend, wenn auch darstellerisch etwas blass, dargestellt.
Wie häufig bei Rossini gibt es in Zelmira noch einen zweiten Tenor, der in diesem Fall sogar die größere Rolle hat: den machthungrigen Bösewicht Antenore. Gregory Kunde meistert seine Arien nicht weniger beeindruckend als Flórez und ist schauspielerisch überzeugender. Zurecht bekommt er am Ende den größten Applaus.
Die beiden Bässe von Alex Esposito als gestürzter König Polidoro und Mirco Palazzi als Antenores Handlanger Leucippo fügen sich stimmschön in das Ensemble ein. Marianna Pizzolato, die auch auf vielen Aufnahmen aus Bad Wildbad zu hören ist, ist als Zelmiras Vertraute Emma eine Luxusbesetzung. Roberto Abbado leitet die Aufführung gewohnt spritzig und kompetent.
Die überzogene Kritik an den Sängern eines Rezensenten auf einem anderen Portal, der schreibt: „ Zelmira und Emma bleiben müde im Mezzo hängen, wo doch beide in Tottolas Libretto ausdrücklich als soprano ausgewiesen sind. Mit schuldig daran ist bestimmt auch die schwache Aussteuerung der Tonspuren. Polidoro kommt im Bass nicht in die Tiefe, Antenore dümpelt als ausgewiesener tenore im Bariton herum, kaum zum Anhören.“ kann ich nicht teilen. Die Rolle der Zelmira wurde wie viele andere Rossini-Rollen für Isabella Colbran geschrieben, de nach zeitgenössischen Berichten keine gute Höhe hatte und heute eher als Mezzosopran durchginge. Tatsächlich werden viele ihrer Rollen wie Elena in „La donna del lago“ oder Desdemona in „Otello“ oft von Mezzosopranistinnen gesungen (z. B. von Joyce DiDonato oder früher von Frederica von Stade), und auch Kate Aldrich ist Mezzosopranistin (sie hat auch Amneris und Carmen im Repertoire). Antenore hatte Rossini für Andrea Nozzari geschrieben, einem „baritenore“, dessen Rollen oft für einen Tenor ungewöhnlich tiefe Töne verlangen. Gregory Kunde wird den Anforderungen dieser Rolle gerecht. Welche Bezeichnungen Tottola in sein Libretto geschrieben hat, ist irrelevant, da es damals noch keine sprachliche Unterscheidung zwischen Sopran und Mezzosopran gab. Auch den Bariton gab es nicht, ein Sänger war entweder Tenor oder Bass.
Nun zur Inszenierung von Giorgio Barberio Corsetti: Gespielt wird in modernen Anzügen und Militäruniformen. Die Jupiter-Priester werden als orthodoxe Geistliche gezeigt. Im Hintergrund der Bühne befindet sich ein großer Spiegel, mit dem das Publikum den Bereich unter der Bühne sehen kann, der in kleine Räume abgeteilt ist, in dem verletzte Soldaten von ihren Frauen gepflegt werden. Später steht dieser Bereich für das Gefängnis, in dem Zelmira und ihr Vater eingesperrt sind. Zu Beginn befinden sich drei zerstörte antike Statuen auf der Bühne, die wohl für die Zeit vor der Besetzung der Insel stehen, aber auch an den zerstörten Ceres-Tempel, der mehrfach im Libretto erwähnt wird, erinnern. Der Thronsaal wird von dem an die Wand geschriebenen Wort ψεύδος (=Lüge) überragt. Der Schriftzug zerbröselt, als Emma und ihre Freundinnen die Rettung von Zelmiras Sohn besprechen.
Den teilweise geäußerten Vorwurf, die Inszenierung verfälsche die Oper durch die Darstellung blutender Kriegsopfer, stimme ich nicht zu: Im Libretto ist von Kriegen, Hinrichtungen, niedergebrannten Tempeln und miltärischer Besetzung die Rede, auch ein Baby (Zelmiras Sohn) soll getötet werden. Eine drastische Darstellung ist da durchaus angemessen. Ekelerregend, wie in einer anderen Bewertung zu lesen, finde ich die Inszenierung nicht.
Abgesehen von den modernen Kostümen folgt die Inszenierung sogar sehr genau dem Libretto: Alle Beziehungen zwischen den Figuren und alle handlungsrelevante Gegenstände (Messer, Krone, Brief) werden so dargestellt, wie man es nach Lektüre des Librettos erwarten würde. Durch die Dunkelheit, in die ein Großteil der Bühne getaucht ist, liegt der Fokus für die meiste Zeit ganz auf den Bewegungen der Hauptfiguren. Durch den Spiegel, die Lichtregie und wenige gezielt eingesetzte Projektionen werden einige eindrückliche Bilder erzeugt, z. B. wenn bei Zelmiras und Polidoros Verhaftung Antenore überlebensgroß hinter den beiden zu sehen ist und wütend und bedrohlich die Hände nach ihnen austreckt, wie um sie zu ergreifen und zu zerdrücken. Die ausweglose, ohnmächtige Situation der Protagonisten wird so auch visuell deutlich.
Besonders umstritten scheint der Einfall des Regisseurs, Zelmira ihren Vater mit der Brust säugen zu lassen. Mich hat diese Stelle auch zuerst irritiert, allerdings sollte man beachten, dass in dem Drama „Zelmire“ von de Belloy, dass Rossini und Tottola als Vorlage diente, Zelmire ihren Vater tatsächlich mit ihrer Muttermilch ernährt und diese Episode aufgrund der damaligen Zensur nicht in die Oper aufgenommen werden durfte. Dennoch wird im Libretto mehrfach betont, dass Zelmira Polidoro ernährt hat. Vor diesem Hintergrund erscheint mir diese Regieentscheidung durchaus plausibel und keineswegs am Stück vorbei.
Mir ist bewusst, dass Corsettis Inszenierung für entschiedene Regietheater-Gegner ungeeignet ist; wenn man leichte Modernisierungen (die hier nur in den Kostümen vorhanden sind) nicht völlig ablehnt, kann sie meines Erachtens auch Freunden traditioneller Inszenierungen Freude bereiten. Mir hat es jedenfalls gefallen.
Der Blu-ray liegt ein informatives Booklet bei, das einen Artikel über die Entstehung der Oper und Eigenheiten der Musik sowie eine Inhaltsangabe (alles auch auf Deutsch) enthält. Als Bonus gibt es ein etwa 25 Minuten dauerndes Making-of mit Äußerungen der Sänger, des Dirigenten und des Regisseurs. Deutsche Untertitel sind verfügbar, funktionieren beim Making-of aber nicht, hier muss man mit englischen Untertiteln vorlieb nehmen. Die Bildqualität lässt keine Wünsche offen. Einziger kleiner Kritikpunkt ist die Tonqualität: Die Aufnahme klingt relativ kalt und teilweise etwas dumpf. Die Dynamik ist etwas übertrieben, sehr leise wechseln mit sehr lauten Passagen und machen ein Nachregulieren der Lautstärke nötig.
Für erwähnenswert halte ich noch, dass man sich in Pesaro für die Pariser Version der Oper entschieden hat, die eine Arie für Zelmira in der Gefängnisszene hinzufügt und den Figuren Ilo und Polidoro eine größere Rolle im Schlussrondo verschafft. Die verfügbaren Audioaufnahmen nutzen meines Wissens das ältere Finale der Uraufführung.
Allen Freunden der Musik Rossinis möchte ich diese Blu-ray wärmstens empfehlen, die gesanglichen Leistungen gefallen mir hier sogar besser als in den Aufnahmen unter Scimone (Warner) und Benini (Opera Rara). Man erhält für sein Geld 200 Minuten virtuosen und dramatischen Gesang und eine gut durchdachte Inszenierung.