Der "Tristan" unserer Zeit - zumindest musikalisch!
"Der" Tristan unserer Zeit - zumindest gesanglich!
Ich gestehe diese Aufnahme nur aus einem Grund gekauft zu haben: Andreas Schager!
Nachdem er mich in der römischen Aufnahme unter Gatti 2016 derart positiv überrascht hat, wollte ich überprüfen, ob er zwei Jahre später an diese Leistung anknüpfen konnte.
Kommen wir zum Wichtigsten, den Sängern:
Andreas Schager bestätigt voll die hohen Erwartungen: er ist der Tristan der letzten Jahre: äußerst textverständlich, kraftvoll und unermüdlich bewältigt er scheinbar mühelos die Riesenpartie und hat die Stimmreserven für die Schlussexaltationen. Damit ist er der beste Tristan auf der Bühne, den die Kamera eingefangen hat (wenn man die technisch problematische Aufnahme der Aufführung unter Böhm aus den 70er Jahren beiseite lässt). Grandiose Leistung und es wäre dringend zu wünschen, dass er die Chance einer Studioaufnahme bekäme, bevor er seinen Zenit überschritten hat wie Jerusalem oder Seiffert. Kollo, Moser, Dean Smith und Gould und wie die Rollenvertreter in den letzten Jahrzehnten auch geheißen haben, sind dagegen zweit - und drittklassig.
Sehr gut ist Anja Kampe: mit angenehmer Stimme kann sie sowohl die lyrischen, als auch die dramatischen Passagen eindrucksvoll gestalten. Sehr textverständlich und differenziert stellt sie Figur dar, nur die übergroße Seelenqual kommt nicht ganz beim Zuschauer an, eine Spur von Distanz ist immer da - vielleicht der Inszenierung geschuldet, doch dazu weiter unten.
Sehr gut besetzt sind die anderen Figuren: Stephen Milling ist ein finster aussehende, bedrohlicher Marke und so klingt er auch - er wäre ein großartiger Hagen.
Ekaterina Gubanova singt eine schönstimmige Brangäne und auch Boaz Daniel ist ein kumpelhafter Kurwenal - best buddy, kein alter Kampfgenosse. Vokaler Überraschungsstar: Linard Vrielink als junger Seemann/Schäfer: selten mit so schöner Stimme gehört und so fein gesungen - bravo!
Barenboim dirigiert souverän und ausgewogen - mehr aber auch nicht. Bohrendes Sehren oder dramatisches Zupacken ist seine Sache nicht.
Die Inszenierung ist leider verfehlt, denn sie durchgängig widersinnig zu Text, Handlung und Musik. Es beginnt mit einer auf Hochglanz gestylten Lounge einer Luxusyacht (ein Bildschirm stellt über "Bordkameras" den Bezug zum Schiff her: Seekarten, Schiffsdeck etc.) und man fragt sich sogleich, warum die dort agierende Highsociety (unter die sich unsinnigerweise die Seeleute mischen) so ein Tamtam macht in all dem Luxus. Dass Tristan dem Morold den Kopf abgeschlagen hat, ist in gemäß dieses Ambientes unglaubwürdig. Da braucht es doch mehr "finsteres" Mittelalter. Die Aufregungen Isoldes sind so nicht nachvollziehbar, denn "Blutschuld" kann man sich in diesem Rahmen nicht vorstellen. Hinzu kommen zahllose Differenzen wie Isoldes Rufe: "Öffne dort weit" - was nun raumtechnisch absolut unmöglich ist, oder ihre Beschreibung Tristans: " [der] in Scham und Schande abwärt schaut." und auf dem Bord-Bildschirm ist ein lachender und gut gelaunter Tristan zu sehen - ärgerlich und idiotisch.
Der zweite Aufzug spielt in einem großbürgerlichen Salon - in dem natürlich keinerlei Naturmagie von Dämmerung und Liebesnacht aufkommen kann. Dass der große Kristallleuchter "als Leuchte" ausgeknipst wird, um Tristan sein Kommen zu signalisieren - nun ja - aber kaum ist er da, erstrahlt die restliche Salonbeleuchtung und wieder ist alles festlich erleuchtet. Das nenne ich inszenatorische Sinnbefreiung! Die folgenden Gesänge um Licht und Dunkelheit, Tag und Nacht - sind in diesem Rahmen völlig belanglos. Aber das spielt hier letztlich auch keine Rolle, denn von Liebesnacht ist sowieso keine Spur zu bemerken, wenn die Liebenden unverwandt in den Sesseln sich gegenüber sitzen. Die "Entdeckung" der Liebenden ist auch ulkig: gerade eben war der Nebenraum leer - plötzlich geht die Schiebetür wieder auf und die "Gesellschaft" schaut gelangweilt und regungslos herein. König Marke hat es anfangs auch gar nicht nötig herzuschauen und singt meist völlig ohne Bezug zum Bühnengeschehen die Gesellschaft an - aber es ist doch eine "Anklage" Tristans! Stattdessen wird - gentlemanlike - von ihm seinem ehebrecherischen Neffen Sekt nachgeschenkt und gemütlich im Sessel gefläzt! Seelendrama - Fehlanzeige! Am Schluss prügeln sich Tristan und Melot - dass das ein Selbstmordversuch Tristans ist, bleibt nicht nachvollziehbar. Ulkiger Requisitenunsinn am Rande: Die Gesellschaft schleppt - denn es ist trotz Gesellschaftsanzügen und Abendkleidern ja eine "Jagdgesellschaft" - einige prügelförmige Gewehre mit sich herum: Schenkelklopfer!!! Ui- wie lustig!!!
Dritter Aufzug: Zimmer im holländischen Stil. Im Bettalkoven spielt der Hirte (Brüller!!!) seine traurige Weise. Nach dem Sinn fragt man sich schon nicht mehr. Dass Kurwenal gar nicht zum Fenster hinausschauen muss, um das Schiff, die Flagge etc. zu sehen, um dann davon singen zu können - geschenkt! Sowieso bedeutungslos für die Bühnenhandlung - warum es dann gesungen wird, wundert man sich schon lange nicht mehr. Wahrscheinlich kleinbürgerlich-spießige Marotte meinerseits. Gesang/Musik und Inszenierung sind hier Paralleluniversen, die nichts miteinander zu tun haben.
Warum Tristan überhaupt stirbt, braucht auch nicht weiter zu interessieren - plötzlicher Herztod, als Isolde hereinkommt und ihn im "Schlamperlook" wie einen Derwisch herumspringen sieht. Wie sollte man denn dem Publikum auch eine sehrende Wunde vermitteln?
Aber nun genug der Kritik - man ist ja heutzutage schon dankbar, wenn man nicht eine Inszenierung im Internierungslager, postmodernen Schrotthaufen, postapokalyptischen Umweltkatastrophen-Design oder wahlweise mit Bordell/Frittenbude oder Campingbus erleben muss!
Welche Aufnahme ist nun zu empfehlen? Gatti oder Barenboim?
Von den Sängerleistungen sind sie etwa gleichwertig: Schager ist beide Male hervorragend, bei Gatti wirkt sein Leiden eindrucksvoller und glaubhafter. Nicholls ist stimmlich Kampe etwas überlegen, aber letztere kann bei der Textverständlichkeit punkten. Der Rest der Besetzungen ist auch gleichwertig.
Bei den Dirigenten hat Gatti die Nase vorn: sein Dirigat entwickelt mehr Zug- und Sogkraft, ist dramatischer und geht unter die Haut.
Auch ist die römische Inszenierung dank gewisser mystischer Elemente - bei aller Kritik - doch dem Werk näher und passender als Tcherniakovs "Themaverfehlung".
Musikalisch ist diese Aufnahme auf alle Fälle sehr empfehlenswert. Sängerisch hervorragend!