Ungeahnte Weite
Diese Aufnahmen haben mir Mahler neu erschlossen.
Sein Werk ist mir sehr vertraut, es begleitet mich seit meiner Jugend. Ich habe verschiedene Aufnahmen, die ich immer wieder höre, am liebsten war mir immer die 4. in der Einspielung von George Szell und dem Cleveland Orchestra.
Als ich mir eine Gesamteinspielung zulegen wollte, las ich ein bisschen in Foren und hörte die Anfänge der mir bekanntesten Sätze von verschiedenen Dirigenten und Orchestern hier bei jpc. Von dieser Einspielung hatte ich schon gehört, manchen gilt sie als Geheimtipp, und diese Einschätzung konnte ich umso besser nachvollziehen, je mehr ich mich durchhörte.
Neumann und die tschechischen Philharmoniker wurden mir allmählich zur Referenz. Bei jedem Vergleich fand ich die anderen mindestens einen Tick (oft aber auch deutlich) weniger überzeugend.
Warum das so war (und ist), kann ich nur schwer in Worte fassen, zumal es mir an musikalischem Expertenwissen fehlt - ich kann nur nach meinem eigenen Höreindruck und meinen Vorlieben gehen. Die würde ich so umschreiben: Ich mag meistens das, was mir präzise und ausgewogen vorkommt. Außenseiter sind mir sympathisch, aber ich habe kein Problem, dem Mainstream zu folgen, wenn es mich überzeugt. Skeptisch bin ich, sobald mir Aufnahmen effekthascherisch oder unpassend pompös erscheinen.
Soviel zu meinen sicherlich subjektiven und vagen Kriterien. Sie bilden den Hintergrund dafür, dass einige Aufnahmen bei meiner allmählichen Urteilsbildung herausfielen. Solti und Bernstein erschienen mir zum Beispiel zu wenig zurückhaltend, Tennstedt kam mir allzu eigenwillig (und dafür dann zu gedehnt) vor. Ich will mir nicht anmaßen, diese Interpreten zu kritisieren, und vielleicht lege ich mir deren Einspielungen auch noch zu (gegen neue Perspektiven ist nur selten etwas einzuwenden). Aber Neumann fand ich bei jedem Vergleich stimmiger als die anderen. Ich hatte einfach das Gefühl, er hat die Musik verstanden. (Vielleicht stehe ich seinem speziellen Verstädnis auch nur besonders nah.)
Seit ich diese Aufnahmen besitze und hören darf, bestätigt sich mein Urteil (das allein durch Probehören der Satzanfänge in MP3-Qualität ja auch ein bisschen gewagt war). Für mich hat sich der Mahler-Kosmos völlig neu erschlossen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich höre ein anderes Werk. Die Einspielungen sind stimmig, frisch, nie langweilig oder pedantisch, sehr differenziert und, was mich am meisten überzeugt: sie klingen nie bemüht oder angestrengt - ein Gefühl, das ich bei anderen Aufnahmen manchmal hatte und zu Unrecht auf Mahlers Zerrissenheit geschoben hatte. Das soll natürlich auch nicht heißen, dass Mahler hier künstlich harmonisiert wird. Gerade die Modernität, die sich in seinem Werk überall anbahnt und durchbricht, bringen diese Aufnahmen besonders gut heraus.
Auch der Klang ist überzeugend. Ich bin kein Techniker, aber ich habe nur wenige andere Aufnahmen, die so durchweg transparent und differenziert klingen.