Die Bundesoligarchie Deutschland
Die Bürgerrechtlerin und Schriftstellerin Daniela Dahn erörtert in dieser Denk- oder Streitschrift das Problem, dass die bundesdeutsche Demokratie eine Parteienoligarchie ist, die den eigentlichen Souverän, das Volk, nach jeder Stimmweggabe auf die Zuschauertribüne verweist, um dann Gesetze zugunsten der Minderheit der Kapitaleigentümer zu verabschieden.
Dahn zeigt auf, wie es dazu kam: Über 2.000 Jahre währende Kontinuität bis heute, nur selten von kleinen Hoffnungsschimmern der gesamtgesellschaftlichen (Mit-)Bestimmung unterbrochen - z.B. Thomas Müntzers „Ewiger Rat“ in Mühlhausen 1525, die Pariser Kommune 1870/71, die Räte der Kronstädter Matrosen 1918-21, die Münchener Räterepublik 1918, die Runden Tische in der DDR 1989, der Bürgerhaushalt im brasilianischen Porto Alegre 1989, der Berliner Wassertisch 2006-11.
Die Lektüre ist bereichernd, anspruchsvoll und aufrüttelnd. Die Autorin schildert viele Zusammenhänge und Beispiele, um ihre kritische Analyse zu untermauern. Nicht zuletzt belegen unverblümte Zitate von Vertretern der Eliten die beschriebenen Verhältnisse. Das lässt keinen Raum, um Dahns Kritik als abwegig oder gar als Verschwörungstheorie abzutun.
Die vielfältigen Lösungen, die sie für mehr tatsächliche Demokratie vorschlägt, sind z.B. der Entzug der außenpolitischen Generalvollmacht für Parlament und Regierung, damit die inflationäre Militarisierung der Außenpolitik eingedämmt wird, überhaupt eine gebundene Mandatierung der Volksvertreter, um ihnen mit den Wahlzetteln keine Freibriefe mehr auszustellen, eine Demokratisierung der Wirtschaft, staatsbürgerliche Bildungsangebote in Schulen und Volkshochschulen, um allen Bevölkerungsschichten das nötige Know-how für die Mitbestimmung in erst noch einzurichtenden zusätzlichen bürgerlichen Ratsorganen zugänglich zu machen (eine zusätzliche basisdemokratisch bestimmte Laien-Rätekammer als Korrektiv mit Vetorecht neben dem Parlament), und vieles andere mehr.
Sie benennt Ziele, teilweise mit detaillierten Problemschilderungen und Hinweisen auf Fallstricke, aber wie der Weg dahin konkret aussehen kann, bleibt unklar. Wie sollen die Bürger sich Gehör verschaffen, wie können Sie tatsächlich zur Mitbestimmung an einen Runden Tisch gelangen: durch Demonstrationen, Saalbesetzungen, Petitionen, Straßenkampf, Revolution, Hoffen auf basisdemokratische Gönnerstimmung im legislativen Establishment? Hier wären praktische Vorschläge und Erfahrungsberichte über Aktionsformen interessant gewesen. So bleibt die Theorie etwas grau, und das, obwohl die Autorin als Mitbegründerin des "Demokratischen Aufbruchs" mehr aus ihrem Erfahrungsschatz hätte mitteilen können.
Dennoch möchte ich dieses insgesamt interessante und anregende Bändchen allen empfehlen. Denn der schlechte Zustand der westlichen Demokratien betrifft ja leider alle: 90-99 % als Opfer, 10-1 % als Nutznießer. Es wird wohl bleibend aktuell sein, aber je mehr es lesen, desto eher wird es vielleicht doch noch überflüssig.