Orpheus 1984
Orpheus in der Unterwelt. Welch geniale „opéra bouffe“, voll flotter und eingängiger Musik und voller rafinierter Spitzen wider die Obrigkeit. Offenbach hatte dieses Stück genutzt, um in einem spaßigen Gewand Kritik am Stil Napoleons des III und der Gesellschaft seiner Zeit zu üben – gewissermaßen war es zugleich eine Persiflage von Glucks berühmtem Vorbild.
In diesem Sinne ist es sicherlich konsequent, diese Persiflage nun zu modernisieren und an moderne Umstände anzupassen – zumal Offenbachs feine Ironie durch die grundlegend veränderten Umstände an manchen Stellen heute sicherlich kaum noch verstanden wird.
Diesem Ansatz bedient sich die Deutsche Oper Berlin, wobei ironischerweise das, was 1984 aktuell war, heute auch schon museumsreif ist. So sind auch die damals sicherlich sehr tagesaktuellen Witze heute nicht mehr in jedem Fall verständlich.
Eine weitere Gefahr birgt dieser Ansatz, nämlich den, dass die Verantwortlichen der Deutschen Oper Berlin, bei allem Respekt, eben nicht an Offenbachs feine Ironie heran kamen. So wirken die Texte stellenweise etwas holprig und plump, was natürlich bei jeder deutschen Übersetzung schwierig ist – ich habe jedoch wahrhaftig schon bessere gehört.
Eines aber muss man dieser Aufführung lassen: Sie droht an keiner Stelle dem Stück die ihm eigene Geschwindigkeit, den Witz, das Tempo zu nehmen.
Was sicherlich auch nicht zuletzt an Jesús López Cobos flottem Dirigat liegt und an dem hervorragendem Ensemble, welches die Deutsche Oper Berlin für die vom Fernsehen mitgeschnittene Neujahrsvorführung noch einmal extra aufgestockt hatte.
Als erstes muss das Haupt- „paar“ genannt werden: Donald Grobe gibt einen herrlich komischen Orpheus, ehrlich gesagt, ich hätte ihm, nachdem ich ihn vor allem als Ottavio und Jaquino gesehen hatte, niemals ein solch komisches Talent zu getraut, einfach nur herrlich. Dazu Julia Migenes, eine wunderbare Eurydike, stets in Tanzpose, dabei aber auch sängerisch gut und schauspielerisch hervorragend, diese Eurydike ist kess und selbstbewusst.
Sehr gut gefallen hat mir auch George Shirley als Pluto, er singt größtenteils französisch, das wird jedoch in der Dialogregie humorvoll aufgegriffen („Übersetzen sie bitte!“) und er schauspielt grandios, ein wirklich verführerischer Teufel!
Hans Beirer kann sich da als Jupiter nur schwerer behaupten, sowohl sängerisch als auch schauspielerisch fällt er gegen die anderen drei Hauptdarsteller etwas ab (Er ist hier allerdings auch schon 73 Jahre alt!). Immerhin gibt er zusammen mit Astrid Varnay – eine sehr lustige Juno – ein alt genuges Paar ab, dass es durchaus logisch ist, dass auch die teilweise etwas „zu“ alten Götter, wie die reife Diana von Janis Martin, noch getrost ihre Kinder sein können.
Die öffentliche Meinung ist mit Mona Seefried (ja, die Tochter von der berühmten Irmgard Seefried) leider auch hier mit einer Schauspielerin besetzt, die gut schauspielt aber nicht angemessen singen kann.
Das restliche Ensemble ist durchweg gut bis sehr gut, besonders tut sich noch Carol Malone als sehr agiler Cupido hervor.
Dazu hübsche Bühnenbilder, ein seine Möglichkeiten auskostendes Ballett, eine Überraschung feministischer Art zum Schluss – was will man mehr?
Vielleicht doch etwas zeitlosere Witze, über die man auch heute noch lachen kann, ohne erst über ihre Bedeutung nachzudenken? Doch etwas agilere Götter?
Egal, solche Schwächen bleiben bei dem insgesamt außerordentlich positivem Gesamteindruch Nebensächlichkeiten. Hoffentlich bringt die Deutsche Oper Berlin noch weitere solcher Schätze heraus.