Wertarbeit mit Eigensinn – Deluxe-Version empfohlen
Erster Eindruck: Ein Tanzmonster mit viel Elektronik und gewaltigen Beats – auf jeden Fall interessant.
Die 15 Tracks sind allesamt sehr „fett“ instrumentiert und bis an die Schmerzgrenze „ausproduziert“ (und eben nicht „überproduziert“!). Das macht schon mehrere konzentrierte Durchläufe erforderlich, damit sich die Strukturen vollständig erschließen.
Dann aber bleiben sehr schnell die einzelnen Titel haften – die Trackreihung finde so gut gemacht, dass ich am zweiten Tag -ohne das wirklich angestrebt zu haben- die ganze Abfolge klar im Kopf hatte. ...und ich merke mir eigentlich schon lange fast gar nichts mehr...
Das liegt aber auch an den zum Teil recht eigenwilligen Kompositionen, auffälligen „Brüchen“ und extravaganten Arrangements. Von einem schnell oder „billig“ hingeschluderten Machwerk mit 08/15-Wegwerftiteln kann daher wirklich keine Rede sein.
Die Lady schafft es, innerhalb ihres Genres der Kunstform „Album“ einen nicht mehr für möglich gehaltenen Stellenwert (zurück) zu geben. Ich möchte damit keinesfalls sagen, dass kaum überragende Einzeltitel enthalten sind – viele Songs haben sogar ganz enorme Qualitäten; sie erschließen sich allerdings etwas später als dies beim üblichen „Radiofutter“ meist der Fall ist.
Musikalisch wagt sie –zum Glück- wieder mehr als auf „Born this Way“, das streckenweise doch etwas konventionell daher kam... Sie bleibt sich dennoch dabei treu – wer ihre mehrere Dutzend offiziell unveröffentlichten Tracks aus dem Internet kennt, der findet dort bereits einiges in der „Artpop-Richtung“.
Obwohl mir das neue Katy Perry-Album auch gut gefällt, wurde mir sehr schnell klar, wie viel aufregender, wagemutiger und vielschichtiger „Artpop“ demgegenüber geraten ist. Große Leistung!
Zur Deluxe-Version: Ein gut einstündiger Live-Auftritt beim i-Tunes-Festival, auf dem 8 brandneue Lieder pompös inszeniert dargebracht werden (Wer macht schon so etwas, wenn er kurz danach eine Tour ausverkaufen will?) lohnt auf jeden Fall die paar Euro mehr. Die etwas langatmigen Pausen und teils nichtssagenden und pathostriefenden Ansprachen ans Publikum sehe ich ihr dabei gerne nach – das Mädel ist gerade einmal 27 und schließlich keine Berufspolitikerin.
Die DVD beweist, wie genial die Titel live funktionieren und dass dabei sehr wohl auch ihre Stimme gut zur Geltung kommt (also „trotz der vielen Elektronik“).
Mir gefällt weiterhin, dass dieses markante Produkt ein echtes Konzept, einen „roten Faden“ hat. Booklet, Cover, Texte – alles passt 1 a zusammen und vermittelt Authentizität und Echtheit - also genau das Gegenteil von dem, was man dieser Frau so gerne vorwirft:
In den Texten fasst sie wieder heiße Eisen an, z. B. sexuelle Freiheit und Befreiung („Venus“, als Single-Auskoppelung angedacht (!), erzählt z. B. vom weiblichen Orgasmus), Beziehungsrollen, elitäre Dekadenz oder auch Drogen – das alles ohne „Schwarz-weiß“ oder „Gut-böse“-Schema, sondern eher assoziativ und teils recht derb und sperrig, ohne proklamierte „Wahrheiten“ oder „Lösungen“. Ich wünsche mir, dass sie noch lange den viel beachteten Stachel im Bauchfett dieses tumben und paranoiden Landes spielt, dessen Subkultur und „Outlaws“ man so sehr verehren kann, während einem der dort herrschende „Mainstream“ (egal ob in Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft) schier den Magen umdrehen kann.
Daher auch Respekt für Ihre Haltung und Sperrigkeit, die ihrem bisherigen Erfolg auf wundersame Art ja nicht geschadet haben. Das Gegenargument, sie erhalte nur so viel Aufmerksamkeit, weil sie schamlos auf die Karte „Sex sells“ setzt, lasse ich so nicht gelten. Erstens kann sie fürwahr solide musikalische Substanz vorweisen, ohne die ein so einfaches Vermarktungskonzept nicht dauerhaft funktionieren würde – zweitens gestaltet sie ihre „Skandale“ ganz anders, als es das übliche „Playboy“-Schema eigentlich verlangt: Sie macht sich oft bewusst hässlich (siehe „Fleischkleid“ u. a.) und zeigt ihren chirurgisch nicht aufgepimpten Körper alles andere als makellos -durch massive Bildbearbeitung aufgehübscht- vielmehr entwaffnend natürlich und teilweise sehr verletzlich.
Für all dies braucht es einen ziemlichen „A.... in der Hose“ – den sie im Booklet ja auch stolz präsentiert.
Alles in allem eine famose Leistung, die ihr da trotz wohl beispiellos hoher Erwartungshaltung gelungen ist.
Beste Lieder: Aura, Swine, Dope,
Anspieltipps: Gypsy, Venus, G.U.Y., Sexxx Dreams, Do what You Want, Donatella, Applause