Empfehlenswert, aber mit Einschränkungen
Zu der Qualität der Musik der Beatles ist nichts hinzuzufügen und zu den bisher unveröffentlichten Takes und der Mono-Version von Revolver kann sich jeder seine eigene Meinung bilden. Teilweise halte ich die Takes für interessant, wenn sie den Entwicklungsprozess eines Liedes darstellen. Die Mono-Versionen sind bestimmt aufgrund ihrer geringfügig anderen Abmischungen ebenfalls interessant, klanglich halte ich sie für flach und kraftlos im Vergleich zu den Stereo-Versionen und für unnötig.
Für den eigenen Vergleich der Stereo-Abmischungen habe ich folgende Revolver-Versionen verwendet: LP von 1972 (SHZE 186), CD von 1987 (CDP 7 46441 2), CD von 2009 (Digital Remaster).
Bei dem neuen 2022-Stereo-Mix sind die Stimmen und Instrumente nun noch etwas präziser und differenzierter als beim 2009-Remaster wahrzunehmen. Insbesondere bei den Stücken „Eleanor Rigby“, „Here, There and Everywhere“, „She said She said“, „Got to get you into my life“ und „Tomorrow never knows“ sind die Veränderungen deutlich wahrnehmbar, verbessern aber nicht unbedingt das klangliche Gesamtbild.
Bei „Eleanor Rigby“ wandert die Stimme von Paul zeitweise von links nach rechts und umgekehrt, so dass man den Eindruck bekommt, Paul wüsste nicht, wo sein Platz auf der Bühne ist.
Als gelungene Abmischung finde ich „She said She said“. Das Gesamtbild wirkt hierbei allgemein ausgeglichener und Ringos Schlagzeug ist nun in die Mitte gerückt, aber auch mehr in den Vordergrund, so dass das Schlagzeug dominanter als bisher wirkt und vom Gesamtbild der Instrumente und Johns Gesangsstimme wiederum ablenkt. Johns Stimme ist nun wesentlich präziser und auch seine Betonungen sind deutlicher zu hören, wie z.B. bei der Textstelle „…everything was right.“
„Tomorrow never knows“ finde ich mit der neuen Stereo-Abmischung auch sehr gelungen. Durch das langsame Wandern von manchen Effekten im Hintergrund wirkt es etwas psychedelischer, als es ohnehin schon ist.
Insgesamt ist festzustellen, dass die neue Stereo-Abmischung klanglich offener und detailreicher wirkt. Manche Instrumente, die bei den bisherigen Veröffentlichungen wahrnehmbar gewesen sind, verschwinden aber dafür in den Hintergrund.
Allerdings ist der neue Stereo-Mix klanglich sehr höhenlastig, d.h. Instrumente, wie z.B. die Streicher bei „Eleanor Rigby“ klingen schärfer und wirken eher unangenehm beim Hören. Im Vergleich mit dem 2009-Remaster ist das Klangbild des neuen Mixes nicht mehr ausgewogen, sondern wird durch die geänderte Abmischung etwas gestört. Die KI bzw. die Software zur Trennung der Instrumente und Stimmen auf den Spuren mag bestimmt sehr hilfreich für den Prozess des neuen Stereo-Mixes gewesen sein, aber klanglich empfinde ich es nur bedingt als Verbesserung.
Das Cover der neuen 5 CD-Box erscheint im Vergleich zu einer Vinyl-Pressung von 1972 (SHZE 186), z.B. bei den gezeichneten Haaren, etwas unscharf. Außerdem sind die in der Zeichnung verwendeten Fotos der Beatles wesentlich dunkler, weniger kontrastreich und weisen kleine störende Bildpunkte auf, so dass die Beatles-Porträts nicht mehr so deutlich zu erkennen sind. Insgesamt erscheint das Cover wie ein inoffizieller schlechter Nachdruck und entspricht nicht dem Anspruch und der Qualität einer neu aufgelegten Box. Auch beim 2009-Remaster ist das Cover besser und deutlicher dargestellt.
Das Buch ist sehr schön aufgemacht und qualitativ hochwertig erstellt. Es enthält viele Farb- und Schwarz-Weiß-Fotos, interessante Beschreibungen zu den einzelnen Aufnahmen, einen Comic von Klaus Voorman zur Geschichte der Entstehung seiner Zeichnung für das Cover, Vorworte von Paul McCartney und Giles Martin sowie ein Essay von Questlove, den ich für überflüssig und nichtssagend halte, aber vermutlich soll dies die zeitliche Brücke zwischen den Beatles und deren Einfluss auf moderne Musikrichtungen, wie z.B. Hip-Hop, beschreiben.
Ich frage mich, was man bei einer Aufnahme von 1966 mit der damaligen Aufnahmetechnik noch erwartet, optimieren zu können? Meiner Meinung nach entspricht jede weitere Veränderung des Klangbildes seit dem 2009-Remaster nicht mehr dem originalen Anspruch der Produktion und führt zu keiner weiteren Verbesserung. Man kann nicht erwarten, dass eine über 50 Jahre alte Aufnahme genauso klingt wie eine Aufnahme in 2022.
Mein Fazit ist, dass die Anschaffung der Revolver-5 CD-Box sich lohnt, wenn man sich als Fan für den Aufnahmeprozess in Form von Takes und Rehearsals interessiert, sich ein Hintergrundwissen über die Aufnahmen aneignen möchte und Gefallen an der schönen Aufmachung findet.
Wer sich lediglich für den neuen Stereo-Mix interessiert, ist vermutlich mit der einfachen CD oder LP ausreichend bedient.