Vielversprechende Kostproben
Was auf dieser neuen CD geboten wird, sind wirklich kleine Meisterwerke der Kammermusik, Proben einer tatsächlich völlig in Vergessenheit geratenen Musikkultur im Russland des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Einer Musikkultur, die den Vergleich mit den damaligen musikalischen Zentren Wien, Paris und London nicht zu scheuen braucht. Natürlich wurde hier dasselbe Repertoire gepflegt wie überall im musikalisch aufgeklärten Europa, aber es gab eben auch lokale Größen, die als Kapellmeister und Virtuosen an den Fürsten- und Adelshäusern dienten und mit eigenen Kompositionen ihren Beitrag zur Musikgeschichte leisteten. Die auf dieser CD vorgestellten Werke stammen von drei Komponisten, die damals in Russland tätig waren, und von deren Meisterschaft wir nun einen ersten flüchtigen Eindruck erhalten können. Sebastian George wurde um 1740 in Mainz geboren und war ab 1767 in Moskau und St. Petersburg als Klavierlehrer, Komponist und Musikalienhändler tätig. Manuskripte seiner Kompositionen haben sich in der in Kiew erhaltenen Sammlung der Grafen Scheremetjew erhalten. Auf der CD werden zwei sehr fein gearbeitete Quintette für zwei Flöten, zwei Violinen und Violoncello aus dem Jahr 1770 vorgestellt. Johann Joseph Kerzelli (Körzl) entstammt einer Wiener Musikerfamilie und war Kapellmeister in Moskau. Seine Sechs Trios op. 1 für zwei Violinen oder Flöte, Violine und Violoncello, empfindsame dreisätzige Werke, sind alle in Moll-Tonarten gehalten. Die zwei auf der CD zauberhaft schön gespielten Stücke (Nr. 1 in a-Moll und Nr. 5 in c-Moll) machen neugierig auf die restlichen. Eine ganz besondere Preziose ist das Duo D-Dur für zwei Violoncelli von Johann Heinrich Facius (1759–1810). Facius, Sohn eines in russischen Diensten tätigen Diplomaten aus Regensburg, war seinerzeit ein berühmter Violoncellist und Pädagoge. Ungewöhnlich virtuos sind die gleichberechtigten Cellostimmen, die im langsamen Satz die Klangfülle eines Streichquartetts imitieren. Facius schrieb offenbar auch weitere zahlreiche Cellowerke, deren Wiederentdeckung noch aussteht. Gewissermaßen als Zugabe bietet die CD noch eine Bearbeitung für zwei Flöten des wunderbaren „La Roxelane“ überschriebenen Air Varié aus Joseph Haydns Sinfonie Nr. 63. Die Transkription wurde unter den Manuskripten des Alexander-Palastes in St. Petersburg entdeckt und wurde wahrscheinlich für den Flöte spielenden Großfürsten Alexander (den späteren russischen Kaiser Alexander I.) angefertigt.
Das Ensemble Altera Pars mit den Flötistinnen Polina Gorshkova und Dorothee Kunst, mit Martyna und Adam Pastuszka (Violine) und den beiden Cellisten Pavel Serbin und Davit Melkonyan vereinigt herausragende Instrumentalisten aus Mittel-und Osteuropa, die auf die Aufführung von Barock- und klassischer Musik spezialisiert sind und den hier vorgestellten Kammermusikwerken in idealer Weise gerecht werden. Pavel Serbin, der wohl als der „Ausgrabungsleiter“ bei dieser gelungenen musikalischen Schatzsuche zu bezeichnen ist, ist auch der Autor der knappen, aber sehr informativen Texte im Booklet.
Eine herausragende Veröffentlichung, die neugierig macht auf mehr musikalische Entdeckungen aus Bibliotheken und Archiven des östlichen Europa!