Gitarre - ganz wienerisch
Unter der Masse von CD-Neueinspielungen, die Monat für Monat erscheinen, gibt es ab und zu noch wahre Glücksfälle, die aufhorchen und staunen lassen. Zu diesen Glücksfällen zählt ohne Zweifel die neueste CD des Trossinger Gitarristen Michał Stanikowski: „Vienna Guitar Recital“.
Von Alfred Thiele
In einer Welt, die uns tagtäglich mit Musik, Klängen und Geräuschen überflutet, läuft man Gefahr, abgestumpft zu werden. Umso beglückender ist es dann, einen Künstler wie den aus Polen stammenden Gitarristen Michał Stanikowski zu entdecken, der in dieser Klangflut mit seinem Spiel noch berühren und bezaubern kann, der fasziniert und der staunen lässt. Seine jüngste CD, „Vienna Guitar Recital“, erschienen bei RecArt, ist ein wunderbares Musikerlebnis, das den Hörer in die Gitarrenwelt längst vergangener Tage entführt – in die Wiener Salons des 19. Jahrhunderts.
Wien - fast ausschließlich assoziiert man mit der Stadt Beethovens, Schuberts, Mahlers und der Walzer-Dynastie Strauss, Sinfonien, Streichquartette, Walzer, Opern, Operetten oder die weinseligen Melodien der Gebrüder Schrammel. Kaum bekannt ist jedoch, dass auch die Gitarre in der alten Kaiserstadt zwischen 1800 und 1860 eine Blütezeit erlebte. Sie war ein äußerst beliebtes Instrument – heute würde man von Mode sprechen – in den bürgerlichen Musiksalons rund um den Stephansdom. Sogar in Franz Schuberts Nachlass fand sich eine Gitarre. Prof. Michael Hampel, der an der an der Trossinger Musikhochschule Gitarre lehrt, bemerkt dazu: „Gitarrenvirtuosen wie Mauro Giuliani und Johann Kaspar Mertz wurden begeistert gefeiert“. Ob Schubert selbst Gitarre gespielt habe, sei zwar nicht belegt, so Hampel, allerdings seien schon 1824 Gitarren-Fassungen aus dem Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ erschienen: „Das war der Auftakt zu zahleichen Bearbeitungen Schubertscher Musik durch Zeitgenossen und Nachgeborene.“
Ganz in den Mittelpunkt der neuen CD – es ist bereits seine dritte – stellt Michał Stanikowski die virtuose und ausdrucksstarke „Sonata romantica“ von Manuel Maria Ponce. Der 1882 geborene mexikanische Komponist versteht sein Werk als „eine Hommage an Franz Schubert, der die Gitarre liebte“. Im dritten Satz, „Moment musical“, kommt das besonders zum Ausdruck, ist er doch die träumerische Erinnerung an Schuberts weltbekanntes „Ständchen“. Ansonsten verzichtet Ponce, der mit dem Gitarrenvirtuosen Andres Segovia eng befreundet war, in seinem viersätzigen Werk weitgehend auf das Zitieren von Themen oder Motiven aus den Kompositionen Schuberts. Michael Hampel: „Trotzdem verströmt das Werk mit seinen liedhaften Themen, seinen dramatischen Wendungen und typischen Modulationen in faszinierender Weise den Geist Schubertscher Lieder, Impromptus und Moments Musicaux.“
So faszinierend wie die Musik, so faszinierend ist Michał Stanikowskis feinfühlige und virtuose Interpretation der „Sonata romantica“ auf seiner vom Jim Redgate geschaffenen Gitarre. Sein Spiel hat emotionale Tiefe, bewegt, trifft ins Herz. Das gilt genauso für die weiteren „wienerischen“ Kompositionen, die der Künstler spielt: die „Fantaisie Hongoroise“ des Wiener Gitarristen und Komponisten Johann Kaspar Merz (1806 – 1856) sowie die „Gran Sonata Eroica“ des italienischen Gitarristen, Cellisten und Komponisten Mauro Giuliani (1781 – 1829), der über zwölf Jahre in der Donaustadt wirkte. Als Vorgeschmack auf seine nächste CD, die er der Gitarrenmusik des 20. Jahrhunderts widmen wird, hat Stanikowski zum Ausklang Manuel de Fallas einziges Werk für Gitarre eingespielt - die kurze „Homenaje“, was auf Deutsch „Huldigung“, bedeutet.
Stanikowski, der seit 2007 auch an der Musikschule Trossingen lehrt und dessen junger Schüler Maxim Hanselowski sich beim anspruchsvollen Anna-Amalia-Gitarrenwettbewerb in Weimar heuer einen beachtlichen vierten Platz erspielt hat (wir haben berichtet), ist ein Künstler, der seinem Publikum und vor allem jungen Menschen die Liebe zur Gitarre und die Schönheit klassischer Gitarrenmusik nahebringen will. Und das mit Leidenschaft und Überzeugungskraft, ist doch die Gitarre quasi sein alter ego - mit ihr befasst er sich nicht allein künstlerisch, sondern musikwissenschaftlich, historisch und handwerklich-technisch. Wundert es da noch, dass er seine Magisterarbeit der Gitarre gewidmet hat? Michał Stanikowski möchte dem Instrument neue Ausdrucksmöglichkeiten erschließen, genauso will er aber Klassisches bewahren oder Vergessenes zu neuem Leben erwecken. Er ist einer jener selten gewordenen Künstler, für die das „Nachdenken über Musik“ wie es der Pianist Alfred Brendel beschreibt, Auftrag und Herausforderung ist: trotz – oder gerade wegen – der zunehmenden Härte des modernen, vom Diktat des Marktes bestimmten Konzertbetriebes.
Michał Stanikowski – hinter diesem Namen steht denn auch eine außergewöhnliche musikalische Vita: 1982 im polnischen Poznan geboren, ist der Künstler dort aufgewachsen und zur Schule gegangen. Im Alter von neun Jahren hat er mit dem Gitarrenspiel begonnen, schnell fiel seinen Lehrern sein überragendes Talent auf. So absolvierte er die Musikakademie in Wrocław und setzte seine Studien später in Deutschland fort, um Wissen und Können zu vervollkommnen: an den Hochschulen in Freiburg, Trossingen und Weimar. Michał Stanikowski ist Preisträger renommierter Gitarrenwettbewerbe in Deutschland, in den Niederlanden und in seiner polnischen Heimat - darunter auch der legendäre Anna-Amalia-Wettbewerb. Mehrmals wurde er für seine herausragende Leistungen ausgezeichnet: unter anderem von der Stiftung „Junges Polen“ sowie vom Ministerium für Kultur und Nationales Erbe der Republik Polen. Michał Stanikowski war außerdem Stipendiat der „Yehudi Menuhin Live Music“-Stiftung . Der Gitarrist, seines Zeichens auch Diplommusiklehrer und Magister Artium, konzertiert regelmäßig auf internationalen Festivals - als Solist, in Ensembles sowie mit Sinfonieorchestern. Er wird als Juror bei Wettbewerben engagiert und unterrichtet auf Meisterkursen. Schon in jungen Jahren war er in Radio- und Fernsehsendungen zu erleben, 2007 und 2008 sind seine ersten beiden CDs erschienen.
Erschienen in: SÜDWESTPRESSE, Kultur in der Region, 01.12.2011