Hervorragende Zusammenstellung
Die Auswahl der Werke und Interpreten ist vorzüglich. Auch die Bandbreite der Dirigenten. Oft handelt es sich zudem um gute Live-Aufnahmen wie im Fall der f-moll-Symphonie, der d-moll-Symphonie ("Nullte"), der Ersten c-moll (Linzer Version 1866, Ed. Carragan), der Zweiten c-moll (Version 1872, Ed. Carragan), der Siebten E-Dur, der um den 4. Satz in der Version Schaller vervollständigten Neunten in d-moll (alle Philharmonia Festiva unter Gerd Schaller). Schaller ist ein sehr kompetenter Bruckner-Spezialist, der das Blech besonders herausstellt und hörbar von der Orgel kommt.
Das Bruckner-erfahrende Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks leitet Klaus Tennstedt 1976 leidenschaftlich mit der Dritten Symphonie in d-moll (Version 1889) und Kurt Sanderling 18 Jahre später mit der Vierten in Es-Dur (Version 1878/80).
Für die Fünfte in B-Dur (steht mit Günter Wand in einem Live-Konzert 1991 mit dem Deutschen Symphonieorchester Berlin wieder ein bedeutender Bruckner-Spezialist am Pult. Ein weiterer besonders Bruckner-affiner Dirigent, Bernhard Haitink leitet 2003 die Staatskapelle Dresden mit der Sechsten Symphonie in A-Dur in einem phänomenal guten Live-Konzert. Der oft als schwach beurteilte Finalsatz entfaltet hier seine volle Stärke.
Die Achte Symphonie in c-moll (Ed. Haas) ist bei der Staatskapelle Dresden unter Leitung ihres Chefdirigenten Christian Thielemann 2009 live aus der Semperoper in den besten Händen, so wie er die gewaltigen Blöcke aufbaut und die dramatischen Fäden nie abreißen lässt. Ein Höhepunkt der Sammlung!
Die Neunte wird auch noch unter Günter Wand mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart live 1979 aus der Basilika Ottobeuren auf einer CD als Alternative zu Schaller geboten. Da gibt es bessere Interpretationen Wands.
Nach den Symphonien auf den ersten 14 CDs folgen auf den nächsten 9 CDs in bunter Mischung kirchliche und weltliche Vokalwerke, Orgelwerke, Kammermusik und Klavierwerke.
In den Interpretationen sehr gelungen ist der Psalm 146 A-Dur unter Gerd Schaller und das Te Deum C-Dur in der legendären Einspielung unter Herbert von Karajan aus den frühen 1960iger Jahren.
Die übrigen Chorwerke werden ordentlich, aber wenig aufregend musiziert. Etwa die ausgewählten Motetten vom Philharmonia Vocalensemble Stuttgart.
Rilling bietet die beiden großen Messen in e-moll und in f-moll wie den Psalm 150 C-Dur mit der Gächinger Kantorei gediegen, aber auch nicht mehr, sozusagen zum Kennenlernen.
Da entfalten die Lund Singers unter Albert Hold-Garrido mit "Helgoland" 2011 mehr vokalen Glanz.
An dem Umstand, dass die kirchlichen Vokalwerke aus den 1840er Jahren, wie das "Requiem" (1849), eigentlich nur von biographischem Interesse sind, können auch die Interpreten nichts ändern.
Gerd Schaller bietet mit großer Kompetenz einige Orgelwerke.
Hingegen zeigt die CD mit den Klavierwerken, gespielt von Wolfgang Brunner und Michael Schoppen 1994, Bruckner um 1850 geradezu als humorvollen Salonkomponisten und mit Skizzen auf dem Weg zum großen Symphoniker in den späten 1860iger Jahren ("Fantasie" und "Erinnerung" 1868). Erwähnung in dem Zusammenhang verdienen auch die vier kurzen skizzenhaften Orchesterstücke von 1862, die Stefan Blunier mit dem Beethoven Orchester Bonn 2010 mit Engagement der Vergessenheit entreißt.
In der mir gelieferten Sammlung war eine CD doppelt und dafür fehlte die CD mit den Kammermusikwerken 2007 eingespielt vom Fine Arts Quartet, die ich aber bereits besitze. Dafür ein Stern Abzug.
Es gilt also gerade bei solchen unterpreisigen Sammlungen auf die Vollständigkeit zu achten. Das Streichquintett in F-Dur mit dem alternativen Intermezzo in d-moll (1878-79) war in der Aufführungsgeschichte ein weiteres Kummerkind Bruckners. Allerdings reicht es auch nicht an die Kraft und Dimensionen der Symphonien heran wie dies etwa für den genialen Franz Schubert mit seiner Kammermusik galt.