Tolle Zeitreise
Wieso eigentlich immer nur die Elphi? Seit dem der Prachtbau mit der zugegeben sensationellen Akustik hier in Hamburg das Rennen macht, fristet die früher als Musikhalle bekannte Laeiszhalle zwar eher ein Schattendasein, gilt aber unter Kennern eben immer noch als der eigentliche Hort des Wahren, Schönen, Guten und – vor allen Dingen – Echten. Hier lenkt nichts ab vom künstlerischen Gehalt der Werke, weder ein spektakulärer Hafenblick noch eine ebensolche Architektur. Dieser Saal ist kein "mussmangesehenhaben", es gibt keine Sehenswürdigkeiten abhakenden Touristen, keine Busladungen voller Ahnungsloser, die nur des Bauwerkes wegen drinnen sitzen.
Hier im eher hanseatischen Ambiente mit Gründerzeit-Charme gilt's allein der Kunst - doch was für einer! Das zeigen die Hamburger Symphoniker mit ihrem Dirigenten Peter Ruzicka und Sophie-Mayuko Vetter an Flügel und Fortepiano mit einem erstaunlichen Beethoven.
Verwundert das so kurz vor dem anstehenden Beethoven-Jahr? Ja – und zwar auf jeden Fall!
Denn nicht nur die musikalische und musikhistorische Spannung dieser CD ist bemerkenswert, sondern auch die Darbietung. Es ist gerade so, als ob man von kundiger Hand durch einen Zeittunnel zurückgeführt wird auf die musikalische und musikhistorische Entwicklung des Bonner Meisters. Wir schauen als „was wäre wenn“ von einem glaubwürdig rekonstruierten Satz seines nicht vollendeten 6. Klavierkonzert zurück, erleben das bekannte 2. Klavierkonzert, und landen bei Klavierkonzert Nr. „0“. Wir reisen musikalisch durch ein ganzes Leben mit seinen Höhen und Tiefen.
Schon dieser eine Satz zu Beginn des „6.“ hat es in sich, bildet er doch gewissermaßen ein ganzes Konzert „en miniature“ ab, ein Universum, eine Welt. Ein toller Einstieg, der sofort gefangen nimmt (mit einem tollen Schluss!). Das entwickelt sich im Verlaufe von 15 Minuten zu einem neuen Lieblingsstück. Was wäre nur, wenn – eine Frage, die man sich beim Zuhören immer wieder stellt. Leider liegt das „6.“ Klavierkonzert nur in Skizzen vor. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn…
Als Brücke in die Anfänge Beethovens dient dann das 2. Klavierkonzert (das ja eigentlich sein erstes ist – wer hat je behauptet, Beethoven sei einfach?). Aber wer hier altbekannte Töne aus einem altbekannten Stück erwartet, verrechnet sich gründlich. Es gibt, soviel sei verraten, auch bei so alten Gassenhauern immer wieder Überraschungen. Doch dazu später mehr.
Für den dritten Teil der Reise wechselt die Pianistin dann das Instrument. Klavierkonzert Nr. „0“ erklingt auf einem Fortepiano, so als ob Dirigent, Orchester und Pianistin Beethovens Anfänge gewissermaßen greifbar machen wollen. Es liegt in der Natur eines Hammerflügels, dass er aufgrund seiner Bauart viel von der „Herstellung des Klangs“ verrät. Diese hörbare Mechanik steht im reizvollen Gegensatz zu Sophie-Mayuko Vetters federleichtem Spiel, das selbst dem doch recht spröden Hammerflügel ein magisches Schweben entlockt. Das Konzert hat der junge Ludwig mit 13 oder 14 Jahren geschrieben; da ist noch viel Mozart drin, da sind Anfänge spürbar, da wird noch gesucht – aber hat Beethoven das nicht zeitlebens gemacht? Aber wohl kaum einer hat mit so großer Meisterschaft gesucht, immer wieder, immer neu…
… und immer wieder spannend! Was Peter Ruzicka am Pult der Hamburger Symphoniker da leitet, akzentuiert und herausfeilt, ist deutlich mehr als hörenswert. Da werden sogar alte Schlachtrösser wie das 2. Klavierkonzert wieder fit und unerwartet flott. An Piano und Fortepiano überrascht und begeistert Sophie-Mayuko Vetter virtuos mit hoch transparenter Musikalität, mit Spielfreude und gerade im 2. Konzert einer liebevollen Leichtigkeit. Da gibt es so zahlreiche ungewohnte Wendungen und kleine Variationen, das man das Konzert geradezu mit neuen Ohren hört. Das hat Esprit, Witz, Leidenschaft – aber auch genau das Maß an Pathos, ohne das Beethoven (für mich) nicht denkbar ist.
Was für eine Reise! Ein ganzes Komponistenleben auf einer CD, großartig nachempfunden auf musikalisch höchstem Niveau. Wer braucht schon die Elbphilharmonie?