Gutes Preis-Leistungs-Verhältnis mit kleinen Schönheitsfehlern
Da frühere Aufnahmen von Carl Loewes wunderbaren Balladen mit so wunderbaren Sängern wie Herrmann Prey, Peter Schreier und Dietrich-Fischer-Dieskau (seine Gesangsqualität und interpretatorische Leistung ist meiner Meinung nach unerreicht) mittlerweile nur noch sehr schwer und teilweise zu Sammlerpreisen zu bekommen sind, allenfalls in gebrauchtem Zustand, entschied ich mich für diese sehr umfassende Edition. Ich persönlich war schier erschlagen von der Fülle an Liedvertonungen, die der inzwischen etwas in den Hintergrund geratene Loewe vertont hat. Besonders schätze ich seine Fähigkeit, Tonarts-und Stimmungswechsel passend zur Situation einzubauen ("Erlkönig", "Odins Merresritt", "Der Nöck", "Herr Oluf",...) was von den Sängern bei der Interpretation einiges abverlangt, weil ein guter Sänger es schafft, diese Stimmungswechsel von fröhlich zu traurig oder sanft zu hart oder ängstlich zu freundlich mitzugehen. Ich habe noch längst nicht alle Balladen gehört, weil ich zum Beispiel auch bei hohen Frauenstimmen Probleme mit der Textverständlichkeit habe, weswegen ich nur die männlichen Kollegen bewerten kann. Jan kabow strahlt als Heldentenor mit Ausdruck und großem Gefühl und spielt auch bei eher humristisch angehauchten Liedern wie "Der Papagei" richtig gut mit. Roman Trekel gefällt mir mit einer sanften lyrischen Stimme, deren Gesangsart sich mit jener von Herrmann Prey vergleichen ließe. Kurt Moll hat es bei mir persönlich am Schwersten. Nun mag es daran liegen, dass er Bass singt und er auch Lieder interpretiert, die ich von Baritonen kenne. So tönt er insgesamt dunkler und in höheren Lagen weniger verständlich. Ihm fehlt es allerdings insbesondere an der Interpretation der Texte, und er erweckt für mich den Eindruck, als singe er lediglich exakt nach den Noten, die Seele jedoch fehlt.
Sehr gut hat mir auch das Booklet gefallen. Da die Texte so umfangreich sind, wurden sie, wie zu Beginn des Internetzeitalters noch üblich, auf einer CD-ROM beigelegt. Ausgeruckt ergeben die deutschen Texte weit über 300 Seiten, so dass dies mir als die bestmögliche Lösung erscheint. Schönheitsfehler sind die Texte selbst: Je nachdem welche Textquelle verwendet wurde, unterscheidet sich die Schreibweise stark. Natürlich ist es richtig, dafür nicht auch noch Lizenzgebühren für bereits veröffentlichte redigierte Texte zahlen zu müssen, aber die Verwendung der heute gebräuchlichen deutschen Rechtschreibung hätte zur Vereinheitlichung beigetragen, Schwerer wiegt, dass bei so bekannten Balladen wie dem "Erlkönig" und dem "Archibald Douglas" schlichtweg Strophen vergessen wurden, obwohl sie auf der Aufnahme gesungen werden. Bei beiden Balladen fehlt etwa jeweils ein Drittel des gesamten Textes.
Fazit: Zum großen Teil sehr gute Sänger, was beweist, dass es nicht immer die großen Namen braucht, um eine gute Veröffentlichung zu machen. Mir erschließt sich jedoch nicht die Auswahl der Balladen für bestimmte Sänger, wenn sie offenkundig nicht zur natürlichen Stimmlage passen. Auch der Aufwand für die Texte war sicherlich enorm, aber gerade bei den bekannten Balladen sollte der Text schon vollständig vorhanden sein.