"Die Mess verdient's"
Bruckners Missa solemnis in B (1854, WAB 29) ist sicherlich noch als "Jugendwerk" des bereits dreißigjährigen Komponisten zu verstehen. Die Vorbilder Mozart, Haydn, Schubert oder generell Einflüsse der gebräuchlichen Kirchenmusik in St. Florian sind deutlich hörbar. Der spätere Symphoniker mit seinen typischen ihm eigenen musikalischen Merkmalen ist noch nicht zu erkennen. Seine ersten "großen" Werke wie die Messe Nr. 1 in d-Moll schreibt er erst 10 Jahre später, bzw. entsteht seine erste (gezählte) Symphonie 1865/66. Vielleicht musste Bruckner erst Wagner kennenlernen um zu seinen eigenen Stil zu finden? Aber dies alles macht die Messe keinesfalls uninteressanter oder schlechter: eine festliche Besetzung, kunstvolle Fugen, usw. ergeben doch ein hörenswertes Musikwerk, welches zur Amtseinführung des neuen Abtes komponiert wurde. Immerhin wurde diese Messe danach noch einige Male in St. Florian aufgeführt. So sind auch die anderen Titel auf der CD, bzw. die Abfolge damit zu erklären, dass eben diese Festmesse zur Inthronisation des neuen Abts rekonstruiert werden sollte. Das ausgewählte Repertoire gibt ein stilechtes Bild der typischen Kirchenmusik dieser Zeit und Örtlichkeit wieder. Auch hier darf man keine Werke mit richtungsweisenden Ausrufezeichen erwarten, aber doch gutklingende und gefällige, festliche "Gebrauchsmusik".
Nach meiner Meinung gibt es bei der Interpretation nichts zu kritisieren. Schöner, homogener Klang, angenehme Tempi, sowie einer ausgearbeiteten Dynamik vom empfindsamen Piano bis zum kraftvollem Forte ergeben eine zu empfehlende Aufnahme dieser Werke ab. Die namhaften Interpreten enttäuschen keinesfalls die Erwartungen und liefern eine CD mit hoher künstlerischer Qualität ab. Auch das sehr informative Booklet verdient Lob, allerdings mit einer Einschränkung: Die Texte der Musikwerke sind nicht mit abgedruckt! Dies wäre in Anbetracht, dass es durchaus Auslassungen gibt und nicht immer der komplette übliche kirchliche Text vertont wurde, doch nicht ganz unwichtig. Auch denke ich, dass nicht alle Hörer das Mess-Ordinarium auswendig wissen oder die teilweise eher unbekannteren (lateinischen) Texte spontan übersetzen können, bzw. es erst "googeln" wollen.
Bei der Bewertung "Gesamteindruck" habe ich einen Stern abgezogen, da lediglich 47 Minuten Musik auf der CD enthalten sind. Da hätte schon noch das ein oder andere unbekanntere Frühwerk Bruckners oder eines seiner Kollegen Platz gehabt. Auch glaube ich gelesen zu haben, dass das Programm auf der CD als Konzert aufgeführt wurde, wo auch Bruckners Psalm 114 erklungen ist. Warum fehlt dieser? In meinen Augen schmälert die kurze Spielzeit der CD zwar nicht die Leistungen der Interpreten und den Repertoirewert des Restes der Aufnahme, aber dennoch wurde hier eine Chance vertan, einen möglichen "Gesamteindruck" des noch relativ jungen Kirchenmusikers Bruckner und seiner Zeit in St. Florian zu erhalten.
Zum Abschluss möchte ich diese CD jeder/jedem empfehlen, die/der die ländliche (aber doch festliche) österreichische Kirchenmusik aus dieser Zeit kennlernen will, oder einfach nur den Kirchenmusiker Bruckner und eines seiner ersten größeren Werk entdecken möchte. Und um jetzt nochmals allen Zweiflern ob der Bedeutung dieses Werkes die Frage zu beantworten, ob eine CD mit dieser eher "unbedeutenden" Messe nötig ist, möchte ich mit Anton Bruckners eigenen Worten antworten: "Die Mess verdient's".