Warm, homogen und dennoch transparent
Akustik:
Für den klanglichen Eindruck spielen neben dem Direktschall die Reflexionen eine bedeutende Rolle. Man hört vor sich den Chor singen, sprich vor den Mikrophonen, und zugleich die Musik, ohne merkliche Verzögerung, aus dem ganzen Raum kommen. In ihm klingen die Töne weder faserig noch abrupt aus, vielmehr rund geschlossen, mit Ruhe, aber ohne eine sich in das musikalische Geschehen einmischende besondere Länge.
Man stellt sich ein geducktes romanisches Gemäuer vor, das mit frühen Schallrückwürfen aufwartet, doch -- im Gegensatz zu einer gotischen Kirche -- keinen lang andauernden Nachhall besitzt. Weit gefehlt! Bei der Husův sbor in Brno handelt es sich statt dessen um eine 1929 aus Beton gegossene Kirche im Bauhaus-Stil. Der rechte Winkel bestimmt das Bild außen wie innen. Der Grundriss ist der eines gestreckten Rechtecks, die Höhe ist ganz ordentlich -- insofern eher „gotisch“ als „romanisch“ -- und die Decke erweist sich ebenfalls als rundungslos und parallel gehalten. Die Maße sind mit 11,7 Metern Breite, 10 Metern Höhe und 16,9 Metern Länge nahe dem für Konzertbauten bewährte „Schuhkarton-Prinzip“, wonach Breite und Höhe zusammen gleich der Länge sein sollen. Fenster gibt es nur im oberen Feld der Seitenwände -- ebenfalls wie in einem klassischen Konzertsaal. Untergliederungen bieten zum einen die Orgelempore sowie zwei daran anschließende Seitengalerien. Vor allem aber ist die Anlage des Altarbereiches eine architektonische Besonderheit. Jener verfügt quasi über einen eigenen Raum, der fensterlos sich lediglich zum Kirchenschiff hin öffnet. Im Verhältnis zu diesem mittig gelegen ist er nicht allein in die Tiefe, sondern ebenso an Höhe wie Breite kleiner geschnitten, würfelförmig und so, dass der Boden höher liegt und die Decke tiefer hängt, als es beim Kirchenschiff der Fall ist.
Der Tschechische Philharmonische Chor Brno stand für die vorliegende Aufnahme mit Sicherheit im beschriebenen Altarraum. Dies würde angesichts der architektonischen Parameter -- zusätzlich zu einer abgestimmten Gesangskunst -- erklären, weswegen sich die verschiedenen Stimmen einerseits gut auseinanderhalten und verfolgen lassen und andererseits einen warmen und homogenen Gesamtklang bilden. Strahlt nämlich die Musik von einem kleineren in einen größeren Raum ab, so führen frühe Reflexionen in ersterem die Einzelbeiträge zusammen, und da jene gegenüber dem Direktschall nur minimal später beim Hörer, respektive den Mikrophonen, eintreffen, verstärken sie überdies durch eine leichte Streckung des musikalischen Geschehens deren Deutlichkeit (-- der Mensch hört Schallenergie innerhalb von 20 ms zusammengefasst). Die Streckung bleibt leicht, da dank der Weite des größeren Raumes, in welchen sich der Schall fortsetzt, nach den ersten frühen Reflexionen eine kurze Reflexionspause folgt. Gäbe es diese nicht und gelangten Reflexionen in einem fort ans Trommelfell/ die Mikrophonmembran, so verunklärten sie ganz schnell das Signal des Direktschalls statt es für den Hörer (subjektiv) zu unterstützen.
Interpretation:
Der Vortrag ist schlicht. Auf einen theatralischer Ausdruck, wie beispielsweise bei der Wiedergabe von Bruckner-Motetten durch die La Chapelle Royale und das Collegium Vocale unter der Leitung von Philippe Herreweghe (veröffentlicht von harmonia mundi France), verzichtet Petr Fiala mit seinem Tschechischen Philharmonischen Chor. Die Schlichtheit vermittelt dabei die Aura eines ganz selbstverständlichen christlichen Glaubens, eines Glaubens, der sich ohne großen Gestus gibt und der in seiner tiefen Verwurzelung weder seiner selbst sich zu vergewissern noch sich zu präsentieren versucht.
Die Schlichtheit ist mit Souveränität gepaart. Die komponierten Gesanglinien werden fließend genommen und treten deshalb wie von selbst in ihrer Schönheit zutage. Die Dynamik ist kontrolliert. Eine unwillkürliche Koppelung ihrer mit gewissen Intervallen oder Tonhöhen müssen wir im Wesentlichen nicht vernehmen. Zum Beispiel wird der Sopran bei hohen Notenwerten mitnichten automatisch lauter und der Bass kann auch in der Tiefe gegebenenfalls im Forte intonieren.
Die meisten Motetten auf der CD sind a capella gehalten. Einige wenige weisen eine Begleitung durch die Orgel und/ oder drei Posaunen auf. Da sich die Orgel auf der Eingangsseite des Kirchenschiffes befindet, erschallt sie für den virtuell vor dem Altarraum und diesem zugewandt platzierten CD-Hörer von hinten und aus einiger Entfernung. Ihre Begleitung fällt somit angenehm zurückhaltend aus, derweil die Posaunen, wo sie zum Einsatz kommen, offenbar vom linken Rang, nahe des Altarbereiches geblasen werden.
Zwei der Motetten enthalten Partien für Gesangssolisten. Diese (ein Sopran, Alt und Tenor) kommen bei dieser Einspielung allesamt aus dem Chorensemble. Ihre Leistungen sind nicht allein ähnlich erfreulich wie die des Chores insgesamt, vielmehr vermögen sie sowohl hinreichend solistisch als auch chorisch zu singen, d.h. ohne als Einzelstimmen hervorzutreten, wenn sie wieder als Teil des Chores agieren.