Ein unruhiger und nervöser Bruckner
Bruckner steht weiterhin bei Tonträgerproduktionen hoch im Kurs. Regelmässig gibt es Neuaufnahmen sowohl Gesamtaufnahmen wie auch Aufnahmen einzelner Symphonien. Aktuelle Gesamtaufnahmen liegen vor von Blomstedt/Gewandhausorch. Leipzig, Markus Bosch/Symphonieorch. Aachen und Gerd Schaller/Philharmonia Festiva. Alles gewichtige Aufnahmen mit jedoch unterschiedlichen Interpretationsansätzen, wobei Schallers Zyklus noch nicht komplett vorliegt. Dazu gesellt hat sich nun Mario Venzago. Eine Besonderheit bei Venzago ist, dass die Einspielungen mit unterschiedlichen Orchestern erfolgte, allesamt nicht Top-Orchester, aber Orchester von gehobener Qualität, die teilweise über sich hinauswachsen und eine erstaunliche Spielkultur präsentieren.
Bruckners Achter hat Venzago mit dem Konzerthausorchester Berlin eingespielt, ein Orchester, das bisher auf Tonträgern nicht allzu präsent ist, aber durchaus Bruckner erfahren.
Venzago wählt zügige Tempi, im Finanle der Achten ein sehr rasches Tempo. Die Tempowahl ist aus meiner Sicht ein besonders kritischer Punkt der Interpretation.. Mit etwa 75 Minuten Gesamtspielzeit liegt er deutlich unter dem "normalen" Zeitmass von etwas über 80 Minuten. So benötigt Günter Wand in seiner späten Aufnahme mit den Münchner Philh. rd. 89 Minuten oder Karajan in einer seiner letzten Aufnahmen mit den Wiener Philh. etwa 84 Minuten.
Ich kann nicht erkennen, dass sich diese schnelle Tempowahl aus der Partitur herleiten lässt. In den ruhigen Passagen der Symphonie wählt Venzago durchaus gemässigte Tempi, bei Klangsteigerungen, wie bei Bruckner üblich, wird das Tempo zum Teil deutlich beschleunigt mit dem Ergebnis, das klangliche Spannungsbögen gar nicht erst entstehen (können). Die Interpretation wirkt unausgewogen, unruhig, ja nervös. Ganz besonders auffällig ist das im Finale der Symphonie, das Bruckner mt "Feierlich, nicht schnell" überschrieben hat. Venzago braucht gut 21 Minuten, Wand hingegen 28 Minuten und Karajan, der durchaus Bruckner zügig interpretierte gut 24 Minuten.
Das Konzerthausorchester ist in allen Orchestergruppen hervorragend besetzt und bietet eine makellose Leistung, allen voran die Blechbläser.
Es empfiehlt sich für weitere Aufnahmen.
Diese Einspielung insgesamt zu empfehlen angesichts der grossen Konkurrenz fällt mir schwer. Wer eine aktuelle Aufnahme der Achten haben möchte, der möge doch zu Blomstedt/Gewandhausorch. greifen, wer Referenzaufnahmen sucht, der möge sich doch an Günter Wand orientieren, deren späte Aufnahme mit den Münchner Philharmonikern für mich die treffendste Wiedergabe der Achten ist und auch klangtechnisch hohen Ansprüchen genügt. Auf vergleichbar hohem Niveau sehe ich auch die Karajan-Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern, die klangtechnisch noch etwas besser gelungen ist.