Geschichten am Kamin vom Sich-Wärmen in der Kälte
Muss man Fan von Kate Bush sein, um diese Platte gut zu finden? Nein, man sollte Fan von guter Musik sein und sich noch einlassen können, einen Abend zu zelebrieren: Ofen anheizen (äh, ich habe wirklich noch Ofenheizung, was macht Ihr zentral Beheizten eigentlich??), die Nadel auf die Scheibe legen und zurück zum Sessel, hören. Es gibt Geschichten zu hören, wie sie Kate Bush zu meiner Freude immer wieder erzählt: Die einer Schneeflocke auf dem Weg von der Wolke zur Frau auf der Erde, die in den Schneehimmel schaut, die eines geheimnisvollen Wesens, dessen Spuren im Schnee man gefunden hat, die eines Paares, das in der Wohnung eingeschneit ist (Elton John kann singen!), und kein Lied unter 5 Minuten. Winter. Wärme. Langsamkeit, Kälte, Bewegung, um warm zu bleiben. Ich habe zu dieser Platte getanzt, als wäre es der Bolero von Ravel, allein, zu zwein, und gehört, wie sich ein Song entwickelt, entfaltet, ohne Eile zu seinem Ende kommen darf.
Es ist keine Musik, die man so mal nebenbei hört. Aber wenn ich die LPs einmal richtig gehört hatte, dann gelingt auch ein Abwasch mit der CD im Hintergrund - bis auf die kleinen Stellen, wo man doch wieder inne hält, um das eine oder andere Detail sich genau anzuhören.
Ein anderer Aspekt: Kinder von Künstlern. Hier dürfen wir teilhaben an einem Leben, zweier Leben. Das eine der Künstlerin, ambitioniert, auf Perfektion bedacht, spät zu Mutterschaft und Fanmilie gekommen. Ein Sohn, von dem ich nichts weiß, als dass ich ihn im ersten Lied höre: Da hat ein Kind das Singen von der Mutter gelernt, und es ist Kind und kein Starkind, und weil es ein Kind eines Stars ist, bekommen wir alle im Publikum die Momentaufnahme einer Kindheit mit. (Ich habe noch in guter Erinnerung, wie ich kurzn vor dem Stimmbruch "Herr Heinrich saß am Vogelherd und war recht frohgemut" von Löwe im Musikunterricht vorsingen musste / durfte. Thema: Kunstlied im 19. Jahrhundert. Hier, bei der Schneeflocke, hören wir einen Jungen vor dem Stimmbruch, wie er ein Kunstlied des 21. Jahrhunderts meistert. Bertie Bush (oder wie er mit nachnamen nun heißen mag) wird diese Aufnahme wie ich meinen "Vogelherd" in sein ewiges Gedächtnis gebrannt haben. Die Schneeflocke singt: Ich bin Staub, ich bin Licht, ich bin Eis, ich bin ... und dann geht die Stimme in eine Höhe, die wir männlichen Menschen nur dann erreichen, wenn wir geübt haben und vor dem Stimmbruch sind. Bei mir löste das Hören des ersten Liedes einen Tränenfluss aus, als die Stimme von Bertie NOCH höher kletterte, als je zu erwarten, und es war gleichzeitig das Wissen, dass hier etwas eingefangen wurde, das nur für kurze Zeit existieren KANN. Das Gespür für solche Momente und das Können, auf diese Momente hin hzu arbeiten, das ist die bewundernswerte Arbeit von Kate Bush.
Musik für Erwachsene.