Ein Muss für alle Mozart-Fans
Meines Wissens ist dies die erste und einzige Aufnahme überhaupt, auf der man Mozarts Requiem in der unvollendeten Gestalt seiner Fragmente hören kann, wie Mozart sie bei seinem Tod hinterlassen hat. Der Dirigent Christoph Spering fügt keine Ergänzungen oder Rekonstruktionen hinzu, weder in Gestalt zusätzlicher Orchesterstimmen, noch durch Hinzufügen fehlender Takte oder einzelner Sätze. Eine besondere Offenbarung ist die Aufnahme der Skizze für eine Amen-Fuge, mit der Mozart das Lacrimosa hätte beschließen wollen.
Beim Hören der Aufnahme bewahrheitet sich, was Christoph Spering im Einführungstext des Booklets schreibt: Durch das Hören der fragmentarischen Grundsubstanz bekommt man einen völlig neuen Eindruck von dem an sich doch sehr bekannten Werk. Spering weist zu Recht darauf hin, dass man bei allen Versuchen, die musikalischen Absichten Mozarts herauszufinden, nicht auf die zahlreichen Rekonstruktionsversuche anderer Komponisten und Dirigenten hören sollte, sondern am besten auf Mozart selbst, und das kann man anhand dieser Einspielung sehr gut, geben die Fragmente die Musik doch genau so wieder, wie Mozart selber im Begriff war, sie aufzuschreiben.
Aber keine Sorge: Neben den Fragmenten enthält die CD auch die Gesamtaufnahme des Requiems in der wohl am meisten etablierten Fassung, die es gibt, nämlich in der durch Mozarts Sekretär und Schüler Franz Xaver Süßmayr erstellten Fassung. Sperings Interpretation vermittelt dem Hörer auch hierbei ungewohnte und wertvolle neue Eindrücke. Die verhältnismäßig kleine Chorbesetzung macht den Chorklang sehr durchsichtig und ermöglicht das Nachvollziehen auch kleinster Details. Man könnte die Aufnahme schon fast als Übungs-CD für Chorsänger empfehlen, die gerade selber an einer Einstudierung des Requiems beteiligt sind. Trotzdem ist der Chorklang nicht spartanisch oder zu kammermusikalisch. Die mystische Wucht des Werkes kommt gleichwohl ungeschmälert rüber. Dies ist wohl auch ein Verdienst der Aufnahmetechnik, die Solisten, Chor und Orchester so rein und klar abbildet, wie man es nur selten hört.
Gewöhnungsbedürftig ist allerdings die Tempowahl durch Spering. So nimmt er den Introitus extrem langsam, anderes, wie z. B. das Confutatis, ziemlich schnell. Ein Blick in Sperings Einführungstext zeigt jedoch, dass der Dirigent die Wirkungen dieser Musik und die Hörpsychologie des Hörers sehr gut einschätzen kann, denn er hat Recht, wenn er schreibt, dass mann die Tempi nach anfänglicher Eingewöhnung sehr schnell zu schätzen lernt und gar nicht mehr das vermissen lassen, was sich an interpretatorischen Traditionen beim Hören des Requiems eingebürgert hat. Die Tempi werden sehr schnell zu persönlichen Wohlfühltempi.
Alles in Allem gehört diese Aufnahme unbedingt in die Sammlung eines jeden Mozart-Liebhabers. Vor allem aber ist sie ein wertvolles Arbeitsmittel für jeden Dirigenten und Chorleiter, der sich daran macht, das Requiem mit einem Chor einzustudieren bzw. eine Aufführung zu leiten. Der i. Ü. auch durchaus günstige Preis der CD lässt die Investition als gut angelegtes Geld erscheinen.