Eine Box für Kenner
Die Bryan Edgar Wallace-Filme unterscheiden sich von den viel bekannteren und sehr beliebten Edgar Wallace-Filmen vor allem durch zwei Charakteristika: Atmosphäre und Tonfall.
Die sogenannten "echten" Edgar Wallace-Filme, die zur damaligen Zeit unter der künstlerischen Leitung von Horst Wendlandt entstanden, haben eine gewisse Unbeschwertheit. Nichts dergleichen kann man von "Der Henker von London", "Das Phantom von Soho" oder "Das Ungeheuer von London-City behaupten". Sie sind noir - German noir.
Die Atmosphäre der Filme hat etwas Fiebriges, Getriebenes. Sie erzählen von einer Welt, die ihre Unsauberkeit erkannt hat und an ihr trägt. Gelegentliche Versuche einer komischen Entspannung wirken eher wie Tröstungsversuche, im Kern sind diese Filme Trost-los. Und wenn man sich auf sie einlässt, machen sie zum Teil wirklich Angst.
Inszenatorisch sind sie oft vielschichtig und insgesamt außerordentlich gut gespielt. Als Beispiel für zwei Szenen, auf die beides zutrifft, möchte ich die Vor-Verlobungsszene mit Barbara Rütting und Hans Söhnker aus dem "Phantom von Soho" und die Auseinandersetzung im Polizei-Krankenhaus zwischen Hans Nielsen und Hansjörg Felmy im "Ungeheuer von London-City" herausgreifen: sehr "echt", sehr uneitel, handwerklich auf hohem Niveau und so souverän und nuanciert in der Darstellung, dass sie eine wirkliche emotionale Beteiligung des Zuschauers zulassen.
Allgemein werden die Versuche des Produzenten Arthur Brauner, mit den Bryan Edgar Wallace-Filmen an den Erfolg der deutschen Edgar Wallace-Verfilmungen anknüpfen zu wollen als nichts anderes als eben das gesehen. Deshalb gelten sie oft als nicht ganz geglückte Imitationen. Allerdings sieht man das größtenteils in Deutschland so. Italiener, Briten und Amerikaner haben weniger Probleme damit, diese Filme als Genrebeiträge zum Phänomen des Deutschen Kriminalfilms zu begreifen.
Sie erinnern mich an die frühen Gialli von Mario Bava und Dario Argento und haben sie vielleicht sogar mit inspiriert, allerdings sind sie wirklich sehr düster und sehr deutsch. Und selbst inspiriert: wie beispielsweise Regisseur Edwin Zbonek im "Ungeheuer von London-City" die Grundidee des amerikanischen Films "A Double Life" (George Cukor, 1946) paraphrasiert und fünf Minuten vor Schluss, sozusagen im Vorübergehen, noch den "Dritten Mann", Hitchcocks "Mieter" und Fritz Langs "M" zitiert, das ist schon einen Blick wert. Auch für Fans des aktuellen Films "Wolfman".
Die Kameraarbeit von Richard Angst und Siegfried Hold ist Ehrfurcht gebietend und kommt besonders gut in diesen restaurierten Fassungen zur Geltung. Überhaupt sind Kamera und Musik Weltklasse.
Das ist vor allem eine Box für diejenigen, die die "echten" Edgar Wallace Filme in- und auswendig kennen und die sich vielleicht auch schon ein wenig mit dem Werk von Mario Bava, Antonio Margheriti und Dario Argento befasst haben.
Es ist in der Tat ein Versäumnis, dass keine Untertitel zu den Filmen vorliegen. Deutsche Untertitel für Hörgeschädigte und englische für unser internationales Publikum wären angebracht, gerade auch weil die Filme in einer so schönen, klaren Bild- und Tonfassung vorliegen!
Als Extra gibt es ein Interview mit Franz-Joseph Gottlieb, dem Regisseur des "Phantoms von Soho". Das Gespräch ist bereits ein filmgeschichtliches Dokument. Das hat Universum wirklich sehr gut gemacht. Und überhaupt ist die Box selbst sehr hübsch geworden.
Das ist das Schöne an der Welt des Films: man kann "Du sollst mein Glücksstern sein" mögen und "Ein Amerikaner in Paris"; die "echten" Edgar Wallace-Filme "Der Hexer" und "Die blaue Hand" und den "Henker von London" auch.