Von Kalauer zu Kalauer: Maazel als Maler Mahlers.
Maazel setzt den spezifischen und charakteristischen Klangkörper der Wiener Philharmoniker zur Interpretation der spezifischen und charakteristischen Musik Gustav Mahlers optimal ein. Ein subtiles, konzentriertes und jeder Note bewußtes Dirigat, das die Klangflächen Mahlers im Geiste der Spätromantik einerseits, die Vision der Wiener Moderne andererseits präsentiert: Mahler als Vollender Wagners, statt Teilhaber Bruckners. Oder, um bei der Überschrift zu bleiben: Ein Pastellgemälde, das Wien des Fin de Siècle darstellend. Ein Dirigat, das zum Hören zwingt, zum "Nach-Hören", - wie "Nach-Denken" -, nicht als Mit- oder Zuhörgelegenheit, als beiläufiges Entertainment, Ersatzhandlung für TV, Zeitunglesen und Kaffeeschlürfen, oder als Hintergrundmusik im Verkehrsstau, beim Zahnarzt, im Lift, oder neuerdings: Als Werbeclipsignation.
Diese Interpretation, ich besitze sie seit Erscheinungsdatum vor etwa 20 Jahren, wurde bereits damals heftig abgelehnt, zu sehr war man Zirkusmusik von Affekttätern und Effekthaschern wie Bernstein, Solti und jenen, die es diesen nachmachen zu müssen glaubten, gewohnt. Hörgewohnheiten können so schlechte Gewohnheiten sein, wie jede andere Gewohnheit, Hörgewohnheiten mag man sowenig aufgeben, wie jede andere schlechte Gewohnheit. Mir war diese Einspielung damals quasi eine Befreiung (ältere Aufnahmen von Klemperer, Walter, Horenstein kamen damals erst peu à peu - wieder - auf den CD-Markt). Und ist mir Maßstab noch heute.
Wer Mahler als Komponisten schätzt, den Melos liebt, dem sei diese Gesamt-Einspielung empfohlen, wer es flotter mag, dem empfehle ich als Alternative Boulez, sowie besonders die über mehrere Jahrzehnte entstandenen Aufnahmen Horensteins mit verschiedenen Orchestern (dzt. allerdings äußerst mager erhältlich).
Wer Mahler als Jahrmarktsmusikanten und Kaufhausmusiker bevorzugt, stupide Melodiemelodramatik, Tschinn-Bumm-Traraa und Sentimentalschmalz, kann ja bei Bernstein, Solti, Inbal und dergleichen bleiben.