Je älter, desto besser?
Je älter, desto besser? Bruce Springsteen möchte sich anscheinend immer mehr zur ehrwürdigen Eminenz, zu einer Art Clint Eastwood des Rock’n’Roll entwickeln. Sein jüngstes Album „Wrecking Ball“ scheint das beweisen zu wollen.
„Ich habe die Zukunft des Rock’n‘Roll gesehen, ihr Name ist Bruce Springsteen“, urteilte der renommierte US-Musikkritiker (und spätere Manager des „Boss“) Jon Landau im Mai 1974, nachdem ihm Springsteen und seine krachlederne E Street Band drei Nächte in Folge im Charley‘s Club von Cambridge, einem Vorort von Boston, die Ohren durchgepustet hatten, bis diese fast abfielen.
Auf seinen letzten Alben krächzte der hemdsärmelige Pseudo-Working-Class-Hero über 09/11 und den Irak-Krieg, prangerte lautstark die Verfehlungen der Regierung George W. Bush an. Auf „Wrecking Ball“, zu Deutsch Abrissbirne, will er nun die korrumpierte Banken- und Finanzwelt der Wall Street dem Erdboden gleichmachen. Das Album sei nach dem Finanzkollaps von 2008 entstanden, erzählt der Volksrocker trotzig. Besonders schlimm für ihn: Niemand sei dafür zur Verantwortung gezogen worden, nicht mal er selbst. Daher sei er diesmal „besonders zornig“.
Die Wut im Bauch spornt ihn an. Zorn und Angst, Hoffnung und Freude liegen beim "Boss", je nach dem gerade vorliegenden Trend auf dem Tonträgermarkt, eng beieinander: Springsteens Pamphlet gegen die Gierigen der Wall Street beleuchtet die Kehrseite des amerikanischen Traums, erzählt von den Sorgen und Nöten, Wünschen und Hoffnungen, verpassten Chancen und geplatzten Träumen des kleinen Mannes, der von der Krise getroffen wurde: „The banker man grows fatter, the working man grows thin”, beschreibt er in „Jack Of All Trades“ die ungerechten, in seinen Augen „unpatriotischen und unamerikanischen“ Zeiten. „Meine Musik war immer patriotisch, aber das ist ein kritischer, wütender Patriotismus“, betont der “Wutbürger” Springsteen. Seine Hymnen zur Lage der Nation transportiert er auch auf seinem 17. Studioalbum mit viel Pathos und gut gespielter Betroffenheit.
Musikalisch wagt sich der „Boss“ auf seine alten Tage immerhin auf neues Terrain. Er erweitert überraschend seinen urtypischen Jahrmarkt-Rummelplatz-Rock-Horizont mit irischem Folk (bei „American Land“ bedient er sich fast schon unverschämt am „Irish Rover“), Gospelchören und sogar Hip-Hop-Einlagen („Rocky Grund“). Ursprünglich wollte er wie schon 1995 mit „The Ghost Of Tom Joad“ ein reines Folk-Album machen, nur mit Singsang und Gitarre. Doch auf Initiative von Produzent Ron Aniello hin kleidete er seine Protestballaden in ein weltoffeneres Gewand, das ihm einerseits gut zu seiner gewöhnungsbedürftigen Stimme steht und andererseits den wirtschaftlichen Erfolg sichert: “The Boss grows fatter...”
Am Ende bleibt von „Wrecking Ball“ aber nicht nur der schlicht ausgerichtete „Boss“ in Erinnerung, sondern - vielleicht sogar noch prägender - sein langjähriger, treuer, im vergangenen Jahr verstorbener Gefolgsmann Clarence Clemons, der in „Land Of Hope And Dreams“ ein letztes Mal sein Saxophon röhren lässt. „Clarence doesn't leave the E Street Band when he dies”, schreibt Hobbyphilosoph Springsteen im Booklet. „He leaves when we die.“
Satte Lyrics sind nun mal seine Stärke. Danke, Bruce!