Eine Inszenierung, die das Libretto - wenn auch ein wenig widerwillig - ernst nimmt
Es fällt mir schwer, in einer Anzahl Sternchen den Wert dieser Aufführung zu benennen. Kaufempfehlung? Auf jeden Fall! Mozart/Schikaneder schrieben die Zauberflöte zur Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs der Französischen Revolution. Den Untergang des alten Regimes zwar herbeisehnend, blickten sie andererseits mit großem Unbehagen auf das aufsteigende Bürgertum mit seinen vernunfthörigen, den Menschen als zu optimierende Maschine betrachtenden Sarastros. Das ist das viel-, meist fehl- und in der Regel verstiegen überinterpretierte „Geheimnis“ von Mozarts Zauberflöte. Da diese Inszenierung sich weitgehend an das originale Libretto hält und es keinen ‚Zensor‘ hat überarbeiten lassen, kommt sie diesem „Geheimnis“ sehr nahe.
Im Detail: Endlich einmal darf die sternflammende Königin ihre (durch den Gang der Handlung nachweislich berechtigten) Gründe darlegen, warum sie Sarastro bekämpft. In der Folge sehen wir diesen willkürlich handelnden, frauenverachtenden, manipulierenden Sklavenhalter und seine sich kasteiende, obrigkeitshörige Männerriege von Charaktermasken denn auch mit weniger ideologie-verklebten Augen – und entdecken nun an Papageno ein hohes Maß an sozialer Kompetenz. Endlich einmal auch wird eindeutig gezeigt, dass das wirkliche Liebespaar nicht Pamina und der seinen Gefühlen entfremdete, also ideologie- und propagandaanfällige Tamino sind, sondern Pamina und Papageno – die sich letzten Endes umbringen wollen, weil sie die Lieblosigkeit in Sarastros Vernunft-Reich der Menschenliebe nicht mehr ertragen.
Schikaneders Libretto ist - bei allen grammatikalischen Bauchschmerzen, die es verursacht, und dem Vorrang theaterwirksamer Handlungen vor deren Logik - eine gelungene Gratwanderung auf Messers Schneide und lässt es beim Publikum, auf welcher Seite der Klinge es die Wahrheit findet: in Sarastro als ihrem gepriesenen „Abgott“ oder in der Verbindung Pamina-Papageno und der Abkehr von einem ausgewiesenen Despoten. Mozarts Musik ergreift dabei nicht Partei; sie lässt den Personen ihre Integrität, macht aber erhellend deutlich, was und wie diese wirklich fühlen.
Und da verwischt Levines Dirigat öfter und ebnet ein, wo Mozart erhellende Diskrepanzen von Fühlen und Handeln, bzw. Reden aufzeigt. (Östmans 1992er Einspielung ist da’n gaanz annern Snack.) Und so oft der Regisseur Schikaneder/Mozarts textlich und musikalisch belegte Absichten auch umsetzt, kann er der Versuchung nicht widerstehen, uns wider die sternflammende Königin einzunehmen, wo Text und Musik dies gar nicht hergeben. Hat Mozart z.B. ihre erste Arie, ihren mütterlichen Schmerz über die geraubte Tochter, mit allen musikalischen Merkmalen von Aufrichtigkeit versehen, hintertreibt Ponnelle dies unbegründet, indem er die Königin Gesten einnehmen lässt, die sie berechnend erscheinen lassen. In der Folge scheint uns ihre zweite Arie, die geforderte Ermordung Sarastros, als endgültiger Ausbruch ihres grundsätzlich bösartigen Wesens – und nicht als psychologisch folgerichtige Entwicklung und Ultima Ratio einer Verzweifelten in aussichtsloser Lage. (Sie ist wahrlich nicht die einzige, die in und angesichts Sarastros Reich dem Wahnsinn verfällt.)
Unverständlich bleibt mir die peinlich an eine Minstrel-Show gemahnende Umsetzung des von Mozart/Schikaneder differenziert gestalteten Monostatos, der „als wahrer Kettenhund des Systems“ (A.Csampai) zwischen allen Stühlen sitzt und dort regelrecht zermalmt wird. Eine verletzte zarte Seele, gehasst von Sarastro, gehasst von seinen Mit-Sklaven, deren Vorsteher er ist, sich selbst verachtend, ist er schließlich zu allem bereit, um der „wahrlich Höllenglut“ des Ungeliebtseins zu entkommen. Was Ponnelle daraus gemacht hat, ist für mich keiner Diskussion mehr würdig. Und so ganz unbearbeitet ist das Libretto auch nicht geblieben. So wurde im Schlusschor das vieldeutige (wenn nicht gar entlarvende) „Es siegte die Stärke…“ ersetzt durch das eindeutigere „Tugend“. Mozart jedenfalls hat völlig folgerichtig einen auf Wirkung zielenden, ansonsten aber völlig belanglosen Jubelchor komponiert, dessen Leere ebenso der Stärke eines Despoten huldigt, wie auch einer Tugend oberflächlichen Glanz verleiht, die nur noch Hülle für seelisch zerstörte Menschen ist.