überdenkenswert ...
Holsts gesamte selbst aufgenommene akustische Hinterlassenschaft auf drei CDs. Sinnvoll wäre noch gewesen - und der Platz hätte dazu gut gereicht - die vier Lieder op.35 mit Dora Labbette und H.W.Reed (von 1924, vier Tage vor Holsts Beni Mora aufgenommen) dazu zu nehmen, da Holst mit den beiden bekannt / befreundet war und wohl für die Aufnahme zu Rate gezogen wurde.
ÄRGERLCH – EIN EDITORISCHES VERSÄUMNIS
Zuerst das völlig Unverständliche dieser Ausgabe: Es gibt keinerlei Textheft (meine CD war original verschweißt) - noch nicht mal auf der Rückseite Hinweise auf Aufnahme-Daten usw., was angesichts des editorischen Anspruchs völlig unakzeptabel ist.
Dafür werden (im PC eingelegt) 4 vorbeihuschenden und nicht vergrößerbaren Fotos als Multimedia angekündigt. Das ist schon fast peinlich...
ZU DEN AUFNAHMEN
Holst konnte als Dirigent wahrlich leidenschaftliches Feuer in Aufführungen bringen! Holsts Tochter Imogen (selbst Komponistin) erinnerte sich, dass Ihr Vater völlig ausgelaugt und entkräftet von den Aufnahmesitzungen nach Hause kam. Die überbordende Energie ist in allen Einspielungen wahrlich zu hören. Mutig und visionär, manchmal bis an den Rand der Schlamperei (aber unter welchen Bedingungen wurde da aufgenommen - das würde heute kein Musiker oder Dirigent mehr akzeptieren!) - immer absolut zuerst dem Ausdruck der Musik verpflichtet. Ein stark rhythmisch betontes, aber keineswegs hartes oder starres Musizieren - ganz im Gegenteil: Schwingend, manchmal richtig renitent frech (St. Pauls Suite, Planeten 1926).
Beni Mora als überzeugendes Meisterwerk, kein Anflug von Genrestück oder Postkarten-Orient... Beni Mora und St. Pauls Suite haben in puncto absoluter Hingabe und Glauben an die Stücke nur in der Aufnahme von Sargent eine wahrhaft perfekte Erfüllung in wunderbaren Stereo-Klang gefunden!
DIE PLANETEN von 1922-24 und 1926
Die Möglichkeit, diese beiden Einspielungen vergleichen, sollte man unbedingt mit offenem Ohr und Herzen nutzen! Es hat sich die meines Erachtens ganz oberflächliche Mär gebildet, dass die erste Einspielung gut sei und die zweite aus vielen Gründe eigentlich misslungen - ums mal so klar auf einen Nenner zu bringen. Ich widerspreche ganz entschieden!
Um es mal an einem Punkt festzumachen: Die erste akustische Einspielung läuft in den gewohnten konventionellen Tempi (wenn auch tendenziell mit deutlich unter 50 Min eher zügig), die zweite elektrische Aufnahme mit einer Spielzeit von 40 Min(!) zeigt Holsts Werk von einer ganz anderen Seite: In der Nähe zu Strawinsky und den Neoklassizisten - modern bissig ... nichts von Romantik oder weihevollem Dunst. Die Planeten als reine Musik, aber wie stark mit Leben und Inhalt erfüllt. Und die astrologische Aussage (eben keine SF-Planeten-Gedöns), also das Zeichnen von menschlichen Eigenschaften und Empfindungen, kommt in kaum einer Aufführung so klar zum Vorschein wie hier!
Beide Einspielungen Holsts von seinen Planeten möchte ich nicht missen und sie zählen neben drei vier anderen zu meinen Favoriten des Stücks, dem er selbst in späteren Jahren so zwiespältig gegenüberstand - vielleicht schon bei der zweiten Aufnahme und deshalb der ungewöhnlich und verstörend moderne Ansatz …
REMASTERING UND VERGLEICHE VON TRANSFERS
Die Remstering (zumindest DAS ist auf der Rückseite angegeben!) stammt von Mark Obert-Thorn:
Der Transfer der "akustischen" Planeten (aufgenommen von 1922 bis 1924!) bringt nur die Erkenntnis, dass die Überspielung von Pristine Audio wohl definitiv unerreichbar bleiben wird. Bei Obert-Thorn hören wir ein fast störungsfreies, aber auch im Frequenzgang sehr enges Klangbild. Insofern ehrlich und gut, aber die "Magie" von Pristine Audio ziehe ich in diesem Fall eindeutig vor! Dort klingt die Aufnahme schon fast wie aus elektrischer Zeit... Die CD-Ausgabe von Pearl war in ihrer "Unbelassenheit" einfach zu gestört zum hören. Auf CD klang das ungefiltert doch sehr unangenehm.
Das Remastering von den "elektrischen" Planeten (aufgenommen 1926) ist sehr gut gelungen und eine echte Alternative zum früheren Transfer Obert-Thorns beim Label Koch (1990). Bei Koch mit mehr Oberflächengeräuschen, aber nicht störend, dafür etwas wärmer, in der vorliegenden 3CD-Box sehr "sauber", aber nicht unangenehm beschnitten im Klangbild. Einfach anders, was sich angesichts meiner obigen Ausführungen durchaus rentiert. Außerdem ist die Koch-Ausgabe ja längst nicht mehr offiziell auf dem Markt zu haben.
Die St.Pauls Suite, Beni Mora, Country Song und Marching Song sind für den an diesen Aufnahmen Interessierten unverzichtbar, da die Pearl-Ausgabe wegen der harten Oberflächengeräusche wirklich anstrengend zu hören war. Die Pearl-Veröffentlichung im LP-Format von 1974 war wesentlich besser zu hören. Wer diese LP noch besitzt - nicht weggeben :-)... Die zweite (elektrische) Aufnahme von Marching Song ist meinem Wissen nach in dieser CD-Box zum ersten Mal veröffentlicht.
Unbedingte Kaufempfehlung für den Musikliebhaber, der um die große Bedeutung des Komponisten (auch für das englische Musikleben) weiß und einen starken Eindruck vom lebendigen Menschen bekommen möchte.
Der schmächtige Mann mit dem "herzhaften lauten Lachen" war vielleicht kein technisch versierter Dirigent, aber er hat ein paar beeindruckend vitale Zeugnisse seiner Vision von Musik und Musizieren hinterlassen, die hier alle in dieser Box zusammengefasst sind.