Ohne Tiefgang
Petrenko (2009) – Royal Liverpool Philharmonic Orchestra: 18:41 / 06:55 / 11:48 / 11:28
Vasily Petrenko wird allenthalben als hervorragener Interpret Shostakowischs gefeiert und das ohne Zweifel zu recht. Seine Einspielungen der Symphonien mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra werden hoch gelobt, auch sein Rachmaninow gilt als ausgesprochen gut. Kürzlich ist nun auch seine erste Aufnahme eines Werkes Edward Elgars veröffentlicht worden.
Doch überzeugend ist das, was Petrenko hier vorlegt nur, wenn man sich einen möglichst rasanten, leidenschaftlichen, knackigen Elgar mit viel Rambozambo wünscht. Man darf nicht auf der Suche nach einer sonderlich „Elgar’schen“ Lesart des Werkes sein, auch wenn es Momente gibt, in denen Petrenko auch diese anpeilt. Doch alles in allem scheint es ihm hier um eine möglichst sportlich-glanzvolle Interpretation zu gehen, wobei sich der Reiz dieses Ansatzes spätestens nach dem zweiten oder dritten Hördurchgang verbraucht und deutlich wird, dass es dieser Interpretation vornehmlich an einem fehlt: an Tiefgang.
Der Einstieg ins Werk gelingt Petrenko gut. Das Motto wird dezent vorgetragen, ganz „espressivo“ – so wie es Elgar wollte. Die Wiederholung im Fortissimo (Ziffer 3) ist feierlich, klingt aber etwas lärmend. Die Emphase, die Sir Colin Davis mit der Staatskapelle Dresden diesen Takten entlockt, stellt sich nicht ein. Mit sehr viel Schwung stürzt sich Petrenko in das Allegro, immer den Blick auf Rasanz, nach vorne strebender Bewegung und Dramatik gerichtet. Doch letztere kann sich nicht entwickeln, da Petrenko sich nicht auf die immer wiederkehrenden geheimnisvoll abschattierten Passagen, die plötzlich auftauchenden dunklen Momente einlassen kann, die Elgar hier und auch im Finale immer und immer wieder einbaut. Da gelingt nicht nur die Vorstellung des zweiten Themas nicht, sondern auch viele andere Stellen, die Petrenko zwar in der Dynamik zurücknimmt, aber nicht im Tempo. Vergleicht man diesen schon fast mechanisch durchgeschlagenen Puls mit Elgars eigener Aufnahme von 1930, so fällt unmittelbar auf, dass diese Musik auf einen Interpreten angewiesen ist, der Meister des Rubato ist. Petrenko erweist sich hier nicht als ein solcher. Und so mangelt es diesem und auch allen anderen Sätzen an einem: an Farbe. Auch wenn es sich paradox anhört, so kann man sagen, dass es sich um eine monochrome Lesart handelt, die auf Glanz aus ist. Hinzu kommt, dass es im ersten Satz immer wieder Momente gibt, bei denen das Gefühl aufkommt, Petrenko könne nichts mit der Musik anfangen, so beispielsweise ab Ziffer 44 (bis zur Coda): Was für ein Ausbruch – und wie statisch gespielt. Desgleichen der gesamte Schluss des Satzes: kein Atem, kein Zusammenhang. Stattdessen eine Aneinanderreihung von „Stellen“.
Das Scherzo kommt in Höchstgeschwindigkeit daher und dieser Satz darf das – streckenweise – natürlich auch. Petrenko peitscht das fulminant aufspielende Royal Liverpool Philharmonic Orchestra durch diesen mahleresken Marsch, dem er ohne mit der Wimper zu zucken eine an Schostakowitsch gemahnende Grelle anpinselt. Das kann man durchaus so machen und gut anzuhören ist das auch. Dann aber das Trio. Wieder zeigt Petrenko wenig Sinn für die breite Palette der Elgar’schen Klangfarben, Stimmungen und Stimmungswechsel. Da wird stramm durchmusiziert, wieder kein Geheimnis, kein magischer Moment, kein Kontrast zum so schön herausgearbeiteten plakativen Moment dieses Satzes.
Von Petrenkos Darstellung des Adagios, einem der schönsten Sätze, die Elgar komponiert hat, kann man enttäuscht sein. Nicht, dass man ernstlich davon sprechen könnte, dass die Wiedergabe misslungen wäre oder das Orchester schlecht spiele. Petrenko gelingt es aber nicht, aus der so herrlich reichhaltigen und gehaltvollen Textur dieses Satzes zu schöpfen, die Musik singen zu lassen (Elgar notiert ja immer wieder: cantabile). Wie einfallslos kommt beispielsweise das zweite Thema (und nicht nur das) daher - ohne einen Hauch von jener Nostalgie und Melancholie, die integraler Bestandteil jeder Musik Elgars sind. Vergeblich sucht man Momente besonderer Intensität (wie sie bspw. um die Ziffern 98, 101 oder 106 zu finden wären), es gibt keine „Ear-opener“, nichts Neues. Tatsächlich kann man den Eindruck gewinnen, dass man diesen Satz beiläufiger kaum musizieren kann.
Das Finale schließlich bringt keine Überraschungen mehr. Der zwielichtige Beginn kommt ziemlich spannungslos daher, das Allegro ist erneut ganz offenkundig auf wirksames Glanz und Gloria angelegt und Petrenko arbeitet sich mit einem Furor durch die eine von ihm erschlossene Dimension des Satzes, der einem Svetlanov alle Ehre gemacht hätte.
Wieder fehlt jedoch die Abschattierung, den Sinn für das stetige Spiel mit dem Chiaroschuro, das es auch in diesem Satz gibt. Sonderlich spannend ist das alles nicht, auch nicht am Ende des Satzes, wo Petrenko das „Grandioso poco largamente“ im Tempo noch anzieht, sodass man sich des Gefühls letztendlich nicht so recht erwehren kann, dass es dem Dirigenten weniger um eine ausgereifte Interpretation, eine durchdachte Auseinandersetzung mit Elgar, sondern um das Spektakel ging.
Dieser Veröffentlichung sollen noch weitere Elgar-Aufnahmen folgen. Man darf gespannt sein.