Auf den Spuren Celibidaches
Er war 'Schüler' Celibidaches (bei keinem passt das Wort so gut wie bei Celi) und auf den Fotos der Booklet-Rückseite und der Papphüllenrückseite sieht er dem Maestro in seiner frühen Berliner Zeit in den vierziger Jahren verblüffend ähnlich: RÉMY BALLOT '
Und Celibidaches 'Geist' durchzieht die gesamte Aufführung der Achten Bruckner (und auch die Dritte, die ebenfalls mit Ballot beim Label Gramola erschienen ist): Breite bis sehr breite Tempi, Klangentwicklung, ein sehr geistiger Ansatz zur Musik.
KIRCHENAKUSTIK
Der Mittschnitt der Aufführung (also keine Schallplattenproduktion) vom 22.8.2014 fand im Rahmen der BrucknerTage in der Stiftsbasilika in St. Florian statt. Gewiss ein Ehrfurcht gebietender und inspirierender Ort, wenn man bedenkt, dass Bruckner oft an der großen Orgel saß und so viel spielte, was nie in Noten schriftlich festgehalten wurde: Bruckner war ja ein Improvisations-Genie, wofür er schon früh in ganz Europa anerkannt und verehrt wurde.
Natürlich bietet eine große Kirchenakustik auch immer große Probleme: für den Dirigenten (wie klingt im was und wo im Raum), für das Orchester (Balance, Dynamik, Durchsichtigkeit des Klangs) und für die Aufnahmetechniker, die das Ganze so einfangen sollen, dass die Kirchenraum-Atmosphäre erhalten bleibt und das klangliche Geschehen klar und durchsichtig zu hören ist. Viele Aufnahmen aus Kirchen sind entweder suppig und verhallt ' oder sie klingen unschön dünn, wenn die Mikros zu nah aufgestellt sind.
Die Techniker und Tonmeister haben sich ihrer Aufgabe ausgezeichnet entledigt: Ein klares Klangbild (zumindest im SACD-Format, das ich gehört habe), durchsichtig, farbig mit beachtlicher Balance. Natürlich ist das alles nicht so optimal wie in einem guten Konzertsaal: Das Orchester klingt relativ weit entfernt, die Bläser schon etwas hallig, ein wirkliches Pianissimo in den Bläsern ist nicht möglich - z.B. gleich am Anfang, wo die Streicher von den 2 Hörnern (1tes und 3tes) gedeckt werden. Es ist auch kaum möglich, einzelne Instrumente oder Gruppen per Mikro hervorzuheben und andere abzuschwächen - was ja unter besseren Bedingungen immer getan wird. Andererseits lässt sich in solch eine Akustik auch "reinbuttern", ohne dass das gewalttätig oder angestrengt klingt.
EIN WUNDER AN ADAGIO
Wie der erfahrene Hörer vielleicht schon ahnen wird: Die Akustik ist am passenden im dritten Satz, dem Adagio. Hier können sich die Streicherklänge schön entfalten und erfahren wohltuende Unterstützung durch den Raum in den weit geschwungenen Linien. Somit empfinde ich das Adagio auch als das Gelungenste dieser CD. An Klangschönheit und Natürlichkeit des Spiel übertrifft m.E. diese Aufführung hier die beiden mir bekannten mit Celibidache (DG und EMI) bei weiten. Das Oberösterreichische Jugendsinfonieorchester spielt phänomenal! Der Streicherklang ist superb, alle ziehen die langen Bögen an einem Strang, das Timing der Aufbauwellen stimmt. Das führt Ballot ganz großartig, nur ganz selten spüre ich ein wenig vom 'Celibidach'schen Absichtsvollen' (der Kaiser möge es mir nicht übel nehmen). Ein ganz großartiges Zeugnis dafür, was ganz junge Menschen musikalisch in Synergie mit einem Dirigenten erreichen können, wenn dieser eine genaue Vision hat! Schade, dass die Klarinetten die acht Takte ab Takt 169 so schräg klingen. Aber genau hier stimmt's auch bei renommierten Orchestern oft nicht ' Die Höhepunkte sind wirklich groß empfunden und nicht nur einfach laut. Und Ballot verliert nie den Faden in diesem Satz, nichts reißt ab. Das mag auch an der tollen klanglichen Pyramide von den Bässen bis zu den Flöten liegen. Das nicht alles absolut perfekt ist (minimale Kleinigkeiten) und die Kraft für den letzten Höhepunkt nicht ganz reicht, muss man den jungen Musikern (ist ja kein festes Orchester) einfach zugestehen.
Ballot braucht 33 ein halb Minuten für das Adagio. Dass ist länger als jede andere mit bekannte Aufführung (alle deutlich unter 30 Min) ' außer Celibidache in München im Gasteig mit 35 Minuten. Hier würde ich der Aufführung gern alle Sterne schenken :-)
DIE ANDEREN DREI SÄTZE
Vielleicht hätte man im Konzert dabei sein müssen (sagte ja Celi sowieso immer), um der gesamten Aufführung in einer Besprechung gerecht werden zu können. Vielleicht kommt hier das technische Aufnehmen tatsächlich an eine Grenze und kann nicht alles abbilden, was da zu hören und zu empfinden war. Das ist oft das Problem von Mitschnitten aus Kirchen. Also schränke ich den Rest mit Vorbehalt so ein:
Das was ich hier vom ersten, zweiten und vierten Satz hören kann, ist mir nicht alles klar, eingängig und verständlich (damit meine ich Kopf und Herz). Der erste Satz ist mir etwas zu wenig 'bergig', der zweite zu einförmig und einfarbig (allerdings mit einem schönen stimmungsvollen Trio) und beim vierten Satz wünsche ich mich in das live Konzertgeschehen hinein. Denn hier ahne ich sehr viel Schichten, 'sehe' (besser: höre) einige visionäre Bilder, die so wichtig für diesen vielschichtigen Satz sind. Den Satz muss man in dieser Aufführung vielleicht mehr als einmal hören, um ihn zu erfassen. Die Ruhe der Tempi ermöglicht hier viele Zwischentöne . . .
Vielleicht nicht unwichtig zu erwähnen: ich habe die Aufnahme über Anlage gehört und nicht über Kopfhörer (weil ich konsequent alle meine Besprechungen darauf ausgerichtet habe). Möglich, dass bei Letzterem man noch mehr ins Geschehen mit hineingenommen wird und noch differenzierter und detailreicher hören kann.
EDITORISCHES
Die optische Aufmachung der Platte von Gramola ist ansprechend (mit einer zusätzlichen Papphülle um den Jewelcase),
die auf Gold-Rohling gepressten zwei SACDs sind folgendermaßen aufgeteilt:
1.SACD: 1.+2.Satz, 2.SACD: 3.+4.Satz.
Das Textheft umfasst auf Deutsch 3,5 Seiten über die Achte von Klaus Laczika und noch 2,5 weiterreichende zur Achten von Rémy Ballot. Alles sehr lesenswert.
FAZIT
Meines Erachtens ist diese Aufführung bzw. SACD kein idealer Einstieg für an der Achten interessierte Hörer, welche diese noch nicht kennen. Aber ich kann mich auch täuschen, da ich bezüglich Achter natürlich meine eigene Geschichte habe. Für Kenner, die die langsame Seite der Achten (in der Zweitfassung von 1890) ergründen möchten und für Menschen, die mit 'Celi' nicht können, aber seinen musikalischen und geistigen Ansatz interessant finden, ist Ballot mit dem Oberösterreichischen Jugendsinfonieorchester durchaus zu empfehlen!
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