Orgel-Raritäten in berührender Einspielung
Aus „organ - Journal für die Orgel“ 2019/03, S.62:
„Es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis, Orgelmusik zu entdecken, die nicht unbedingt im alltäglichen Konzertbetrieb zu finden ist und oft ihrer Aufführung harrt. Genau das trifft auf die Weltersteinspielung der sogenannten Elbinger Orgelwerke von Max Gulbins zu. Damit präsentiert Andreas Jetter wahrlich eine Rarität. Beim Studium dieser in prächtigem Format gestalteten Doppel-CD wurde ich an die kritisch zu hinterfragende Sentenz von Hermann Keller erinnert (im Nachwort seiner Kunst des Orgelspiels), dass das ‚eigentliche‘ Orgelrepertoire doch recht schmal bemessen sei. Tatsächlich stellt jedoch die Literatur für die Orgel einen fast unüberschaubaren Kosmos dar, und dazu gehört auch die bisher viel zu wenig beachtete Musik von Max Gulbins. Die rundum gelungene Einspielung Andreas Jetters schickt uns auf eine spannende Entdeckungsreise in die expressive Klangwelt Gulbins’.
Die in Gulbins’ Amtszeit als Organist, Kantor und Chordirigent im westpreußischen Elbing zwischen 1900 und 1904 entstandenen Orgelwerke verlangen mit ihrer opulenten Klangsprache nach einer respektablen sinfonischen Monumentalorgel. Die Suche nach einem derartigen Instrument war für Jetter keine leichte Aufgabe, denn die in Frage kommenden Orgeln der Region mit den Wirkungsstätten von Gulbins sind entweder den Kriegswirren oder späteren Bränden zum Opfer gefallen. Deshalb richtete er sein Augenmerk auf die imposante Kuhn-Orgel in der Hofkirche in Luzern mit ihren stattlichen fünf Manualen und über 150 Registern.
Auch wenn keine direkte Beziehung von dieser Orgel zu Gulbins existiert, so war das eine sehr gute Wahl für die teilweise fulminant, teilweise recht polyphon, aber auch oft intim daherkommende vielgestaltige Musik des Komponisten, bei der man in den polyphonen Passagen durchaus eine Nähe zu Reger verspürt. Dieser hat sich übrigens ausführlich und überaus begeistert über sie geäußert.
Mit der überbordenden Disposition der Kuhn-Orgel stellte es für Andreas Jetter kein Problem dar, die im Notentext von Gulbins detailliert notierten Registrieranweisungen optimal umzusetzen. Jetters vehementem Spiel spürt man keineswegs die hohen technischen Anforderungen dieser Werke an; man fühlt, dass hier ein virtuoser Organist mit viel Engagement am Werk war. Insofern trägt er die Musik Gulbins’ mit Brillanz und Spürsinn für die delikaten Passagen vor, vernachlässigt nie die gute Durchhörbarkeit der zahlreichen klanglichen Eruptionen und setzt oft starke dynamische Kontraste.
Neben den vier Sonaten, die bis auf die erste op. 4 alle biblische Bezüge aufweisen und diese quasi programmatisch verinnerlichen bzw. reflektieren, bereichern zwei inhaltlich und klanglich konträre Märsche op. 17 („Brautzug“ und „Trauerzug“) die Einspielung. Ein sehr umfangreiches Booklet (dt./engl.) informiert umfassend in Bild und Text über Max Gulbins’ Vita, sein Schaffen, über die Orgeln in seinem Umfeld und bietet so eine äußert interessant zu lesende Dokumentation zu dieser absolut empfehlenswerten Aufnahme mit einem hohen künstlerischen und archivalischen Wert.
Felix Friedrich“