Nikolai Lugansky - Chopin/Rachmaninoff/Beethoven/Prokofieff auf 9 CDs

Nikolai Lugansky – Erato Recordings 2000 – 2006

Biografie

Der Sohn einer russischen Wissenschaftlerfamilie zeigte schon in frühester Kindheit sein außergewöhnliches musikalisches Talent. Im Alter von fünf Jahren erhielt er ersten Klavierunterricht, und nur zehn Jahre später wurde er als Schüler von Tatiana Nikolayeva als absolute Ausnahmebegabung im klassischen und virtuosen russischen Repertoire erkannt. Nachdem Lugansky beim 1988 beim Leipziger Bach-Wettbewerb die Silbermedaille gewann, wurde er zwei Jahre später mit dem zweiten Preis des Moscower Rachmaninow-Wettbewerbs ausgezeichnet.

Seinen größten Sieg feierte der junge Pianist 1994 mit dem Gewinn des 10. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerbs in Moscow. Seitdem wird er als Klavier-Superstar gehandelt und trat eine glanzvolle Reihe aus Konzertauftritten und Schallplattenaufnahmen an. Kurz vor ihrem Tod bezeichnete ihn seine Lehrerin Nikolayeva als »den nächsten« in der Tradition großer russischer Klaviervirtuosen vom Format eines Neuhaus, Gilels oder Richters. Luganskys brillante Technik verbindet er mit absoluter Transparenz und Beherrschung der Form. Kein Wunder, dass er immer wieder mit seinem großen Vorbild verglichen wird: Sergei Rachmaninow.

Luganskys steile Karriere hat ihn in alle großen Musikzentren der Welt geführt, von Westeuropa über Japan bis nach Brasilien und Bulgarien. Er konzertierte mit Orchestern vom Format des Royal Concertgebouw, Philharmonia, Orchestre de Paris, San Francisco Symphony und nicht zuletzt mit dem Russischen Nationalorchester. Sein US-Debüt gab er im Jahr 1996 auf einer Tournee mit drei denkwürdigen Aufführungen des Ersten Klavierkonzerts von Tschaikowsky unter Valery Gergiev in der Hollywood Bowl. Unter den weiteren prominenten Dirigenten, mit denen Lugansky zusammenarbeitete, sind YYevgeni Svetlanov, Vladimir Spivakov, Gennadi Rozhdestwensky, Yuri Temirkanov und Edo de Waart. Auftritte mit Christoph Eschenbach, Sakari Oramo und Yutaka Sado sind geplant.

Lugansky hat über 30 große Klavierkonzerte von Bach bis Rachmaninov in seinem Repertoire. Außerdem ist er ein versierter und gesuchter Kammermusiker und spielt regelmäßig mit einem festen Zirkel aus Freunden und Kollegen. Wann immer es sein dicht gefüllter Terminkalender erlaubt, kehrt »Kolya« nach Moscow zurück, um sich seiner Familie und gelegentlich auch dem dem Schachspiel zu widmen.

Seine erstes Recital für Erato widmete er den »Études« von Frédéric Chopin. Für Luganskys technische Billanz und vollendete Expressivität scheinen diese Werke wie geschaffen – und wurden prompt mit der »Diapason d'Or« als Beste Instrumentalaufnahme des Jahres 2000 ausgezeichnet.
(warnermusic. de)

Über diese Aufnahmen

Lugansky hatte zwar schon mit 14 Jahren Aufnahmen gemacht, doch spiegeln die Rachmaninov, Chopin, Beethoven und Prokofjev-Aufnahmen für Warner Classics, die er zwischen 1999 und 2006 mit Ende 20/ Anfang 30 gemacht hat, seine zunehmende Reife und Sicherheit als Solist, Konzertpianist und Kammermusikpartner.

Für sein erstes Warner Classics-Projekt scheute er sich nicht, mit Chopins Etüden ausgetretene Pfade zu beschreiten. Als der legendäre Pianist Josef Hofmann meinte, dass kein Pianist jemals alle Etüden Chopins gleich gut spielen könne, hatte er nicht mit der jüngeren Generation von Virtuosen gerechnet, der genau dies gelingt. »Obgleich (Luganskys) Technik beeindruckend ist«, schrieb Anthony Tommasini in der New York Times, »kehrt er diese mit seinen exquisiten Darbietungen der überaus anspruchsvollen Klavieretüden nicht hervor.« Ebenso spielt Lugansky Chopins Preludes, op. 28 mit seinem beeindruckend weichen Anschlag, der verfeinerten Detailarbeit und dem Gespür für lange Linien so ausgezeichnet, dass er mit den berühmtesten Aufnahmen im Katalog mithalten kann.

Lugansky hat Beethovens Sonate, op. 10, Nr. 3 erstmals als Teenager und später erneut für Warner Classics zusammen mit drei weiteren Sonaten des Komponisten eingespielt. Luganskys witzige, aufrührerische und sehr dynamische Wiedergabe des Finalsatzes ist hervorragend, während seine flexible, unverhohlen dramatische Herangehensweise an die Ecksätze der »Appassionata« das kämpferische Temperament des Komponisten wie dessen starken klassischen Zug zum Ausdruck bringt.

Im Gespräch über ältere Kollegen bezeichnet Lugansky den 1997 gestorbenen Svjatoslav Richter als einen seiner Lieblingspianisten. Man könnte sich fragen, ob dessen luzide Prokofjev-Interpretationen Luganskys eigene beeinflusst haben. In der 6. Sonate z. B. sind Luganskys technische Präzision und sein konzentrierter Ansatz höchst wirkungsvoll, lassen aber auch lyrischen Passagen Raum zur Entfaltung und Verdichtung. Beachtlich auch, wie sorgfältig Lugansky die holzbläserartigen Stakkato-Akkorde im Allegretto mit den melodischen Passagen zwischen den Lagen abstimmt, während der weitschweifige langsame Walzer des langsamen Satzes kontrollierte Freiheit zeigt.

Lugansky markiert die Trostlosigkeit im MitteIteil des Finalsatzes durch ungewöhnliche, aber einfallsreiche Pedaleffekte und treibt die schnellen Rahmenteile bis zum Äußersten voran, ohne je zu entgleisen. Im Gegensatz dazu treten die ersten beiden Sätze der 4. Sonate mit faszinierend düsteren und gewichtigen Strukturen hervor, wodurch die Musik dunkler als gewohnt klingt.

Im Mittelpunkt dieser Ausgabe steht wohl Luganskys Zyklus sämtlicher Werke für Klavier und Orchester von Rachmaninov. Lugansky stürzt sich förmlich auf die halsbrecherische Kadenz im ersten Satz des ersten Klavierkonzertes und verschlingt sie quasi, ganz wie Rachmaninov in seiner eigenen Aufnahme. Ebenso bevorzugt Lugansky eine frische, vorwärtstreibende und unsentimentale Interpretation des Soloparts im 3. Klavierkonzert sowie die leichtere Kadenz im ersten Satz, die auch der Komponist (wie Horowitz und Martha Argerich) vorzog, im Gegensatz zur schwierigeren, Akkord-basierten Alternative, zu der sich die meisten jüngeren Pianisten genötigt sehen.

Lugansky kennt zweifellos das reiche pianistische Schallplattenerbe, meinte aber zu Harriet Smith: »Wenn ich ein Werk einspiele, heißt das, dass ich etwas zu sagen habe, etwas, das mich stark berührt; immerhin muss man mit dem Ergebnis leben können!« Infolgedessen geht er an seine Aufnahmen sozusagen ganz von vorne heran, vergisst frühere Einspielungen und konzentriert sich stattdessen ganz auf den Komponisten. »Alles, was ich brauche, steht in den Noten, auch, wenn ich mich mein Leben lang darum bemühen muss.« (aus dem Booklet)