Wirre Zeiten - wirre Gedanken ... UND HEUTE?
Vergessen Sie Naxos - Preiser machts gut ... ;-)
Das habe ich mir schon immer wieder gedacht, wenn es parallele Veröffentlichungen alter Aufnahmen der beiden Labels gab...
Die Beethoven Dritte mit Pfitzner und den Berliner Philharmoniker von 1929 klingt für ihr Alter ausgezeichnet - ja: ist auch durchaus ohne diese Einschrämkung anhörbar ... Natürlich in Mono, mit leichten Verzerrungen, eingeschränkter Dynamik und etwas Oberflächengeräuschen - aber alles in tolerierbarem Rahmen. Es könnte auch eine ordentliche Aufnahme von Mitte der Dreißiger sein ... Einzig beim Wechel der Schellackplattenseite 1 zu 2 des Kopfsatzes gibt es im direkten Anschluss eine deutlich wahrnehmbare Veränderung der Tonhöhe durch das leichte Absinken des Pitch der vorausgegangenen Platte, bei anderen Wechseln der Seiten ist der Tonhöhen-Unterschied minimal. Der Klang der Aufnahme ist schon räumlich, gute Balance der Instrumente,auch ordentliche Farbigkeit aller Instrumente, kein Mangel an Details. Die Überspielung selbst ist voll im Klang, offen in den Höhen und weist keinerlei negative Digitalisierungseffekte auf.
Pfitzners Dirigat ist wie bei seiner Schumann Zweiten und Vierten auch hier sehr stimmig, überzeugend, einfühlsam, phantasievoll und abgesehen von kleinen übermäßigen Ritardandi an Phrasenenden durchaus modern. Wie bei Schumann fällt auch in der Dritten Beethoven die romantische Fülle der Sicht bei "rückblickenden" Gedanken auf - aber keineswegs schmalzig oder übertrieben, nur mit einer deutlichen Beugung des Tempos, welche Pfitzner aber eleganz auch wieder aufhebt. Manche Stellen berühren stark, besonders im Trauermarsch.
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"Unangemessener" Ausflug?
Ja - die Toleranz ... Wirklich nachdenkenswert ist das (dankenswerter Weise hier abgedruckte) Bekenntnis Pfitzners zu Beethoven in der kurzen Schrift "Beethoven und die Moderne", was - vorneweg gesagt - nicht politischer Natur ist: Auch wenn ich selbst doch sehr unangenehm berührt war beim erstmaligen Lesen ob solch eines Wusts aus Wunsch nach Wahrheit, Beständigkeit, "Höherem", Bedeutungsvollem, Wut, Neid - also kurz allem, was eine menschliche Psyche mit Problemen des Sebstwertgefühls und des Selbstbesusstseins ausmacht und hervorbringt:
Können wir mit dem Finger auf die einzelne Person zeigen (wieviel Deutsche empfanden damals solch eine mit dem Staat verquickte "Persönlichkeits-Verletzung"?), die sich so - sicher auch irgendwie naiv - geäußert hat? Was hat das für einen Sinn - außer seine eigenen Resonanzen z.B. zum Thema Drittes Reich (das es da ja noch gar nicht gab) ins Außen zu projizieren? Ist es nicht sinvoller, sich seinem eigenen "inneren Pfitzner" zu stellen? Wo bin ich missgünstig auf Kollegen, auf einen Harz-4-ler oder einen Asylbewerber, der "auf Staatskosten lebt"?
Mal sehen ob ich mir mit diesen Gedanken "gefällt mir nicht" Punkte einhole - welche übrigens PER SE Ausdruck von Intoleranz sind ... :-)
Eines scheint jedenfalls klar zu sein:
Neuere und auch viele ältere Musik kann wohl in Zeiten der Krisen und der Einflussnahme nie wieder ins Absolute zurückkehren ... So gesehen sind alle älteren Aufnahmen aus der Vorkriegszeit bis in die frühen 50ziger unschätzbar wertvoll für uns, die wir diese Zeit nicht durchmachen mussten. Wir können durch die Seele der Musik und der Musiker darüber vielfältigst refektieren, uns selbst in diese Zeit stellen ("wie fühle ich mich und wie handle ich da?") und unsere eigenen inneren Wölfe im hier und jetzt ansehen, die wir so gern in den Schatten stellen ...