ganz große Musik - unbedingte Empfehlung für Neugierige!
Was "Modernität" angeht ist Ethel Smyth (1858-1944) sicherlich nicht der letzte Schrei ihrer Zeit gewesen - dennoch bewegt sie sich durchaus zwischen Romantik und Moderne. Im alten Gewand stecken neue Ideen und auch die Konstruktion des Doppelkonzerts ist interessant. Die Frage wie "modern" (Klemperer sagte: "moDERN klingt für mich nach MOdern") oder "zeitgenössisch" (jeder Komponist schreibt doch letztlich für seine Zeitgenossen) ein Tonsetzer ist, sollte eigentlich müßig sein - besonders bei bereits verstorbenen.
Ich bemühe mal folgendes Bild:
Wenn die Wissenschaft morgen herausfände, dass die Sonne 50.000km weiter von der Erde entfernt ist als bisher gedacht - wäre es uns deshalb nun ab morgen kälter?
Ethel Smyth (Studium in Leipzig beim Komponisten und Brahms-Freund Herzogenberg) komponierte nicht nur (u.a. einige Opern), sondern sie engagierte sich auch politisch in der Frauenrechtsbewegung (Suffragetten). Tatsächlich ist auch eine deutliche Nähe zu Brahms in der Serenade in D von 1889 (Brahms schrieb ja auch eine Serenade in D) spürbar, wenngleich auch ihre Instrumentierung farbiger als die des älteren Kollegen ist. Sie beherrscht die Meisterschaft der Bildung eigenständiger Haupt- und Seitenthemen mit sehr eleganten und organischen Überleitungen und einer kraftvollen klaren Durchführung. Der zweite kleiner instrumentierte Satz zeigt umgehend, das hier kein Epigone am Werk war: Ein brillantes sprühendes Scherzo mit nie erlahmender Kraft, Raffinesse und Witz. Auch der dritte Satz ist kein langsamer, sondern ein ebenfalls bewegtes Allegretto grazioso mit Taktwechseln, das wieder etwas "Brahmsisch" im Flair erscheint .- aber manchmal eher so wie das Klavierquartett in der Orchesterfassung von Schönberg. Das Finale hat wieder die volle Besetzung mit Trompeten - und auch hier gibt es eine Fülle an ganz originellen und eigenständigen Einfällen, die alle meisterlich verarbeitet sind, sowohl was die kompositorisch organische Logik, die Struktur und Proportionen angeht. Die Musik ist so farbig, logisch entwickelt, abwechslungsreich und kraftvoll drängend wie sie nur sein kann samt kompositorischen Finessen wie selbstverständlich daherkommenden Kontrapunkti und alles wissen über Orchestersatz, Instrumentalfarben und Spieltechniken (die dann auch hörbar sind!) rhythmische Vitalität und Entfesselung und eine perfekte Orchesterbalance. Ein Werk, dass einen Staunen macht - besonders angesichts dessen, dass die Komponistin im allgemeinen Musikbewusstsein eigentlich nicht existent ist.
Das Doppelkonzert für Violine, Horn und Orchester ist 1927 entstanden und scheint fast von einer anderen Komponisten als der Serenade zu stammen. Der immer wieder stark harmonisch schwankende Boden hat immer noch etwas von Brahms, jedoch Komponisten wie Richard Strauss sind zwar nicht hörbar, aber man spürt deutlich, dass sie zur selben Zeit geschrieben haben. Die dreisätzige Komposition erscheint rhapsodischer und freier als die sehr klassisch übersichtlich gehaltene 38 Jahre früher geschriebene Serenade. Die Musik spricht mehr - vielleicht ist da ja der Einfluss ihres Opernschaffens spürbar? Der langsame Satz überrascht wiederum mit ganz anderen harmonischen Einfällen. Etwas Herbes liegt über dieser Elegie, aber auch etwas Visionäres am Höhepunkt und großes sehnsüchtigen Geheimnis gegen Ende. Das Finale ist dann nochmals voller Überraschungen. Beim ersten mal Hören im Radio bangte ich richtig, dass das Finale nicht gegenüber den ersten beiden Sätzen abfallen möge - aber diese Sorge war völlig unbegründet. Es ist der längste der Sätze - und (für mich zumindest) keinen Augenblick ZU lang! Es gibt nochmals eine eigene Entwicklung und natürlich eine (besonders fürs Horn abartige und hier grandios bewältigte) Kadenz. Die Musik efüllt ihren "Sinn" bis ganz zum Ende des Werks . . .
Nicht genug damit, dass hier zwei phantastische Werkle eingespielt sind. Diese Qualität der Kompositionen wird wohl erst durch die ganz großartige Interpretation mit einem glänzend aufgelegten BBC Philharmonic unter der hervorragenden Leitung von Odaline de la Martinez deutlich. Eine ausgezeichnete Sophie Langdon (Violine) und ein phantastisch traumhafter Richard Watkins (Horn) lassen im Konzert keine Wünsche offen.
Zum Glück hat zudem Chandos das Ganze äußerst geschickt für CD (63:46 min) eingefangen. Ein überzeugenderes Plädoyer als diese Aufnahme kann es für diese Komponisten wohl kaum geben !!!
Ganz ganz großartige völlig unbekannte Musik, hervorragend von einem glänzenden Orchester und großen Solisten gespielt, voller Liebe, Feuer und rhythmischer Kraft dirigiert und weit über den Durchschnitt gut aufgenommen. Kurzum: Mehr geht eigentlich nicht - besonders bei Musik die es erst zu entdecken gilt!
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Über ein Feedback (Kommentare) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!