Alfonso Ferrabosco II: Consort Music
Consort Music
CD
CD (Compact Disc)
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- Künstler: Hesperion XXI, Jordi Savall
- Label: AliaVox, DDD, 2002/03
- Bestellnummer: 8969841
- Erscheinungstermin: 20.4.2005
“Ich habe nicht viel zu reden”, das war Alfonso Ferraboscos Fehdehandschuh, den er der Welt ins Gesicht schleuderte, als er seine Musik im Druck vorstellte. Diese Mischung aus Hochmut und Demut (fast als wolle er sagen: “Nehmt mich, wie ich bin”), die den Eindruck erweckt, als sei der eigene Ruf etwas Nebensächliches, mit dem sich andere auseinandersetzen sollten, ist eine ungewöhnliche Mixtur. Die Nachwelt zeigt sich naturgemäß überrascht. Aber englische Musikmanuskripte zeugen von seinem Status als der Hofkomponist seiner Epoche, wenn sie ihn beiläufig nur als Alfonso oder AF benennen. Dann sind da die Zitate von Zeitgenossen, die ihm fast ebenso kurz und bündig, wie er sich selbst äußerte, ungeheuren Respekt zollen. Der Dramatiker Ben Jonson, mit dem er an höfischen Maskenspilen zusammenarbeitete, nannte ihn einen “Mann, der in sich selbst ruht und allen Geist der Musik beherrscht”. Jonson war ein sorgsamer Formulierer, der mit Lob sparsam umging; er schrieb nicht nur ein Lobgedicht, sondern sogar zwei für Ferraboscos veröffentlichte Werksammlungen. Doch es ist schade, dass aus einer Ära, in der Musiker zunehmend als virtuose Interpreten / Komponisten an die Öffentlichkeit traten, anscheinend kein Porträt von ihm existiert; wie üblich sind auch die biographischen Fakten zu seiner Person spärlich gesät. Man braucht einige Phantasie, um sich ein Bild von ihm zu machen. Vielleicht stünden ihm die sorgsam ungekämmten Locken eines kreativen Künstlers, wie sie dem Genie eines vergleichbar schöpferischen Talents huldigen, nämlich Frescobaldi in den Stichen, die dessen Veröffentlichungen voranstehen. Der Liederschreiber und Dichter Thomas Campion kam einem Wortporträt wohl am nächsten, als er ihn “das lebende Abbild des alten Alfonso” nannte – aber so liebevoll das auch gemeint sein mag, ist es doch im Endeffekt ein zweifelhaftes Kompliment, da es kaum jemand schätzen dürfte, am ikonisch berühmten Vater gemessen zu werden. Und so muss seine Musik, die seit seinem eigenen Jahrhundert so lange unterschätzt wurde, in ihrer eigenen Sprache für ihn sprechen. Die besten Werke haben etwas monumental Skulpturales, das durchaus einschüchternd wirken kann: Sie sind schwer zu “durchschreiten”. Tatsächlich tragen die fragmentarisch bekannten Lebensdaten, seine unterprivilegierte Jugend und der später folgende Ruhm, dazu bei, sowohl das Heroische als auch das Demütige in seinem Schaffen zu erklären.
Was sein Leben angeht: Sein Vater, Alfonso der Ältere, war über das England des Elisabethanischen Zeitalters wie ein strahlender Meteor hinweggefegt, eine glitzernde Spur am Himmel hinterlassend. Seine Bedeutung lag weniger im eigenen Talent begründet, sondern vielmehr in dem Auftrieb, den er einer trägen, insularen Gesellschaft gab. Selbst der große William Byrd bediente sich der neuartigen Techniken, die er aus dem warmen Süden brachte. Alfonso ging, wie er gekommen war – unvermittelt, gar zweimal hintereinander. Das zweite Mal hinterließ er zum Abschied wahres Chaos: Nicht nur blieb ein herrschaftlicher Diener erstochen zurück, sondern alle vollmundigen Versprechen einer baldigen Rückkehr blieben unerfüllt. Er handelte sich eine Stelle im Dienst des Herzogs von Savoyen ein und schloss Frieden mit der Inquisition ob seiner verdammenswerten Heirat im Ausland. Königin Elisabeth fand das gar nicht lustig. Seine verlassenen Kinder wurden geradezu als Geiseln gehalten, in Pflege gegeben zu einer Musikerfamilie bei Hofe. Ob sein englischer Sohn je viel von ihm zu sehen bekommen hatte, ist ungewiss, aber der jüngere Alfonso trat jedenfalls ein zwiespältiges Erbe an: den Ruf der Familie für “tiefgreifendes Können”. Daraus ergab sich ein Zwang, gegen den musikalischen Schatten anzutreten. Er musste sich als eigenständige Vaterfigur erfinden, musste sein eigenes Rätsel der Sphinx lösen, und das gelang ihm vermittels des unablässigen Strebens nach Neuartigkeit, das ihn als höchst ungewöhnlichen Komponisten auszeichnet. Das Renommee seines Vaters kann dabei nicht viel geholfen haben. Obwohl einiges unternommen wurde, den offensichtlichen Gaben des jungen Mannes ab 1592 in der königlichen Musik Rechnung zu tragen, musste er nach etwa sieben Jahren mit einer Eingabe um Aufmerksamkeit ersuchen, in der er behauptete, er sei “von einigen, die ich nie kennenlernen durfte, der Kenntnis ihrer Majestät vorenthalten” worden. Es war ohnehin eine düstere Zeit, in er sich die Königin zurückzog und sich Verschwörer sammelten, die nach dem Thron schielten. Doch irgendwie wurde Alfonsos Bitten erhört, er wurde zu regelmäßigen Darbietungen bei Hof herangezogen, und seine Zukunft begann rosiger auszusehen. Doch es muss jene fast ein Jahrzehnt andauernde Isolation gewesen sein, die seine einzigartige Mischung von Talenten prägte.
Es ist kaum einzuschätzen, wie originell fast alles war, das Alfonso der Jüngere in Angriff nahm. Er schuf ein wahrhaftiges englisches Barock. Er war wahrscheinlich der erste, der Vokalmonodien schrieb, nicht nur auf englische Texte für höfischge Unterhaltungen, sondern auch italienische für cognoscenti der neuesten Mode, den Pastoralen von Battista Guarini. Seine im Druck erschienenen Lieder waren die ersten, die Gedichte von Ben Jonson und John Donne an die Öffentlichkeit brachten. Man rühmte ihn lange als Erfinder der englischen lyra viol (eine Form der Viola bastarda). André Maugars, der feststellte, dass Ferrabosco der Ältere einen Stil des Akkordspiels auf der Grundlage der Lyra bastarda in England eingeführt hatte, bemerkte zu seinem Sohn, “grand Farabosco”, dass er unter den römischen Interpreten keine gesehen habe, deren Schmelz sich mit dem englischen Ferrabosco vergleichen ließe (“je n’en ay oüy aucun qui fust à comparer à Farabosco d’Angleterre”). Doch sein wesentliches Vermächtnis an uns sind die Fantasien für Viola da gamba. Ferrabosco verwandelte die meisten Arten von Kammermusik; auf diesem Gebiet war England provinziell geblieben, fast unberührt von den in Kontinentaleuropa gängigen Gattungen. Es stimmt, dass einige elisabethanische Autoren sich an Fantasien versucht hatten, doch abgesehn von dem eingeschränkten Stimmunfang, der sie für verschiedene Instrumentengruppen spielbar machen sollte (“per ogni sorti di strumenti”), waren sie doch nur die arme Verwandtschaft des raffinierten venezianischen ricercar mit seinem durchgehenden Kontrapunkt. Etwas von der Klanglichkeit und den Beschränkungen dieser älteren Musik ist übrigens in einer Fantasie zu hören, die wahrscheinlich versehentlich Alfonso dem Jüngeren zugeschrieben wurde, dem Werk Nr. 24, das nur in einer späten Kopie vorkommt. Wenn es sich nicht um eine irregegangene Motette handelt, könnte es sich aus dem Œuvre seines Vaters eingeschlichen haben (oder ebenso wahrscheinlich von einem Hofkomponisten der älteren Generation stammen, z. B. von John Bull mit seinen ähnlich düsteren Miniaturen, die sich erst halb von der Motette gelöst hatten). Ferrabosco vergößerte den Stimmumfang, aber wichtiger ist, dass er einen neuen linearen Stil entwickelte, der geschmeidige Ricercar-Themen mit den Rhythmen und dem Schwung der Kanzone verband. Sein unendliches Experimentieren umfasste auch subtile Modulationen, obwohl er den imitativen Stil beibehielt und somit das Modalsystem nicht ganz aufgeben konnte. Ebenso bedeutungsvoll war, dass es sich hier um zutiefst am Interpreten orientierte, instrumentengerechte Musik handelte. Kontrapunktische Kniffe machen nur einen Teil dieser Batterie von Effekten aus, denn er war äußerst wählerisch, was die eingesetzten Mittel anging: Vergrößerung an Kadenzpunkten und Höhepunkten gab es allemal, aber nicht die schwerer wahrnehmbaren Umkehrungen und krebsgängigen Themen. Dieses Maß an Neuartigkeit ließ sein vierstimmiges Schaffen noch für eine Generation nach seinem Tod zur populärsten und am häufigsten kopierten werden, auch wenn späte Anhänger seinen Stil mit der melodramatischen, italienisch beinflussten Chromatik durchsetzten, die er selbst mied. Die von ihm vorgegebene Formel hielt sich bis zu Henry Purcell um 1680, der als einer der wenigen anderen Autoren gelten darf, dessen Sammlungen zu vier Stimmen man ohne Übertreibung als vollendete “Kunst der Fantasie” bezeichnen kann. Doch Ferrabosco war der Pionier, der die Grenzen des Schicklichen absteckte. Nach ihm war an Themen und deren Umsetzung nichts mehr volkstümlich, denn der neue Barockstil errichtete auch neue Barrieren zwischen Genres. Sein Stil mit dem fortgesetzten Verweben von Motiven entstammt ganz eindeutig der Lyra viol. Das gilt auch für die großartigen fünfstimmigen Pavanen. Sie fließen in einer erhabenen Stimmung dahin, der von der strengen Tanzform befreit ist; ihr Kontrapunkt ist manchmal fast ganz ins Thematische aufgelöst, wie beispielsweise in der Dovehouse Pavan (der Beiname wurde wie manch anderer liebevoll von Amateuren des siebzehnten Jahrhunderts angefügt, ähnlich wie jene, die später den Haydnschen Quartetten beigemessen wurden). Andere Male gefiel es ihm, sich mit Ostinati oder Leitmotiven selber Beschränkungen aufzuerlegen, ganz wie Frescobaldi in seinen obblighi. Für die Pavane On Four Notes schrieb Ben Jonson einen Andachtsvers, Hear me, O God – mit dem er vielleicht instinktiv auf deren Themen und emporstrebende Stimmung reagierte.
Derart anspruchsvolle Musik braucht ihren Nährboden, und die Herrscher der frühen Stuart-Dynastie boten einige Zeit lang eben diese anspruchsvolle höfische Kultur, sowohl in Bezug auf den Hörer als auch auf den Interpreten. König Jakob (VI. von Schottland und I. von England) stand selbst im Ruf eines Kulturbanausen, aber seine Gattin, Königin Anne von Dänemark, gab sich nach der Erfahrung mit dem eher düsteren Zeitvertreib im schottischen Reich ihres Mannes von ganzem Herzen den Freuden ihres neu angenommenen Landes hin und verlangte zahlreiche Maskenspiele. Das Herrscherpaar gab riesige Summen für Vergnügungen aus. Wichtiger noch war, dass Ferraboscos Können ihn zum Lehrer für den ältesten Sohn Henry prädestinierten; der kriegerische junge Hofstaat des Prinzen von Wales im Rahmen des Königshofs war schon im Entstehen begriffen, noch ehe er 1610 zum Kronprinzen erhoben wurde. Hier fand sich ein neues Zentrum des Geisteslebens mit einer Lust am Experimentieren, die Ferrabosco erfreut haben muss. Doch all dies fand ein vorzeitiges Ende, als Henry unerwartet starb und seine Höflinge gezwungen wurden, sich zurückzuziehen. Jakob hatte begonnen, die Militanz seines Sohns als Bedrohung zu empfinden, und zwar nicht nur in Hinblick auf seinen eigenen Thron, sondern auch in Bezug auf seine Ambitionen, auf der europäischen Bühne als gravitätischer Staatsmann zu gelten. Sein eigenes Motto war “Beati pacifici”, gesegnet seien die Friedensstifter, obwohl der spanische Gesandte Diego Sarmiento de Acuña, der spätere Graf Gondomar, dahinter nur die krankhafte Angst des Königs vor körperlichen Schmerzen erkennen mochte, und den Realismus einer Kleinmacht, die sich gezwungen sah, ihre Gegner gegeneinander auszuspielen. Alfonso brachten die Palastrevolutionen wohl das, was sie dem kleinen Mann meist bringen: Wahrscheinlich fiel er unvermittelt in Ungnade, und das bedeutete natürlich das Ende seiner Zusammenarbeit mit Jonson und Inigo Jones (der vielseitige Designer, Architekt und Bewunderer des Baumeisters Andrea Palladio war bei Hofe zur entscheidenden Instanz in Sachen Eleganz aufgestiegen). Wenn es für Ferrabosco einen persönlichen Abstieg gab, lässt er sich aus der Musik nicht unmittelbar ablesen, denn keines der Manuskripte ist datiert; doch Alfonso hatte sich sicherlich ans gute Leben gewöhnt, und ohne zusätzliche Aufträge dürften nicht einmal seine vielfältigen Posten am Hof verhindert haben, dass er knapp bei Kasse war. In seinen Fünfzigern zeigte er sich jedenfalls unruhig und unzufrieden, wenn wir eine bemerkenswerte eidesstattliche Erklärung ganz ernst nehmen dürfen, die seine Schulden anderen zuweist und seine Pläne erwähnt, England auf immer zu verlassen. Aber wohin sollte er sich wenden? Zum Familiensitz in Bologna? Eine letzte Ernennung mag ihm das letzte Jahr erleichtert haben, eine seltene Bestellung zum offiziellen Hofkomponisten. Sie war ihm in der Vergangenheit vorenthalten geblieben, als sie von dem modischeren, aber oberflächlichen John Coprario aufgeschnappt wurde (bei dem es sich um einen inglese italianato handelte, der offenbar ursprünglich Cooper geheißen hatte).
Es mag sich niemals feststellen lassen, in welche Phase seiner Karriere man Alfonsos sechsstimmige Fantasien einordnen soll. Einige tragen den Stempel von Frühwerken, vielleicht aus der Zeit in den 1590er-Jahren, als er unter dem Einfluss der Bläser, die ihn aufzogen und einen erheblichen Teil der Hofkapelle stellten, zu seinem eigenen Stil fand. Sie hatten ein besonderes Repertoire von groß angelegter Musik für offizielle Anlässe wie Bankette oder Umzüge zur Hand. Das Neue bei Alfonso war die Umwandlung dieses Gelegenheitsrepertoires durch seine allumfassende Fantasienmanier, was ihm so geschickt gelang, dass er eine ganze Schule von Nachahmern anregte. Damit schuf er eine weitere Spezialität, eine einheimische Fortentwicklung, denn selbst die canzone der Gabrielis wiesen kein vergleichbares Maß an Organisation und Seriosität auf. Alfonsos Stücke wurden wiederum zu den meistkopierten der Epoche. Darüberhinaus scheint er auch der wesentliche Erneuerer des In Nomine gewesen zu sein, einer besonderen englischen Musikform, die in Kontinentaleuropa unbekannt war; sie war um die Zeit der Reformation unter ungeklärten Umständen aufgekommen und verarbeitete in kontrapunktischen Sätzen einen bestimmten, stets gleichbleibenden Choral des englischen Sarum-Ritus zum Osterfest, Gloria tibi, Trinitas. Kein Ausländer hatte sich je daran versucht, mit Ausnahme von Alfonsos Vater, der seinem Gastland damit wohl sein dauerhaftestes Vermächtnis hinterließ. Mit seinem üblichen Flair fürs Machbare schuf er eine leichtere Satzform in einer Gruppe von drei Vertonungen, die William Byrd und andere bald zu Nachahmungen inspirierten. In den 1590er-Jahren hatte das Interesse nachgelassen, und es war wohl das persönliche Interesse von Alfonso dem Jüngeren, das eine Wiederbelebung auslöste. Wiederum findet ein beständiges motivisches Spiel mit Fetzen aneinander gereihter Ideen statt, wobei manchmal mit neuem Schwung und Auftrumpfen der Vater zitiert wird. Das Ergebnis war, dass das In Nomine wieder bis in die Zeit von Purcell fortbestand, wobei man sich seiner kirchlichen Ursprünge nur schwach erinnerte, wenn überhaupt. Ähnliches gilt für Ferraboscos Renommee, auch wenn der größte Teil seiner Musik in die Regale der Biliotheken verbannt blieb. Der Oxforder Antiquar Anthony Wood kannte sie nur in diesem Zusammenhang, doch stellte er etwa fünfzig Jahre nach Ferraboscos Tod fest, dieser sei “in Bezug auf Fantasien zu fünf oder sechs Stimmen der berühmteste Mann in aller Welt” gewesen. Natürlich ist sein Einfluss noch unermesslich größer als das; doch ist dies keineswegs der schlechteste Ruf, den man der Nachwelt hinterlassen kann, und dahinter lässt sich Alfonsos Bild ja vielleicht doch erahnen.
DAVID PINTO
Übersetzung Anne Steeb / Bernd Müller
Was sein Leben angeht: Sein Vater, Alfonso der Ältere, war über das England des Elisabethanischen Zeitalters wie ein strahlender Meteor hinweggefegt, eine glitzernde Spur am Himmel hinterlassend. Seine Bedeutung lag weniger im eigenen Talent begründet, sondern vielmehr in dem Auftrieb, den er einer trägen, insularen Gesellschaft gab. Selbst der große William Byrd bediente sich der neuartigen Techniken, die er aus dem warmen Süden brachte. Alfonso ging, wie er gekommen war – unvermittelt, gar zweimal hintereinander. Das zweite Mal hinterließ er zum Abschied wahres Chaos: Nicht nur blieb ein herrschaftlicher Diener erstochen zurück, sondern alle vollmundigen Versprechen einer baldigen Rückkehr blieben unerfüllt. Er handelte sich eine Stelle im Dienst des Herzogs von Savoyen ein und schloss Frieden mit der Inquisition ob seiner verdammenswerten Heirat im Ausland. Königin Elisabeth fand das gar nicht lustig. Seine verlassenen Kinder wurden geradezu als Geiseln gehalten, in Pflege gegeben zu einer Musikerfamilie bei Hofe. Ob sein englischer Sohn je viel von ihm zu sehen bekommen hatte, ist ungewiss, aber der jüngere Alfonso trat jedenfalls ein zwiespältiges Erbe an: den Ruf der Familie für “tiefgreifendes Können”. Daraus ergab sich ein Zwang, gegen den musikalischen Schatten anzutreten. Er musste sich als eigenständige Vaterfigur erfinden, musste sein eigenes Rätsel der Sphinx lösen, und das gelang ihm vermittels des unablässigen Strebens nach Neuartigkeit, das ihn als höchst ungewöhnlichen Komponisten auszeichnet. Das Renommee seines Vaters kann dabei nicht viel geholfen haben. Obwohl einiges unternommen wurde, den offensichtlichen Gaben des jungen Mannes ab 1592 in der königlichen Musik Rechnung zu tragen, musste er nach etwa sieben Jahren mit einer Eingabe um Aufmerksamkeit ersuchen, in der er behauptete, er sei “von einigen, die ich nie kennenlernen durfte, der Kenntnis ihrer Majestät vorenthalten” worden. Es war ohnehin eine düstere Zeit, in er sich die Königin zurückzog und sich Verschwörer sammelten, die nach dem Thron schielten. Doch irgendwie wurde Alfonsos Bitten erhört, er wurde zu regelmäßigen Darbietungen bei Hof herangezogen, und seine Zukunft begann rosiger auszusehen. Doch es muss jene fast ein Jahrzehnt andauernde Isolation gewesen sein, die seine einzigartige Mischung von Talenten prägte.
Es ist kaum einzuschätzen, wie originell fast alles war, das Alfonso der Jüngere in Angriff nahm. Er schuf ein wahrhaftiges englisches Barock. Er war wahrscheinlich der erste, der Vokalmonodien schrieb, nicht nur auf englische Texte für höfischge Unterhaltungen, sondern auch italienische für cognoscenti der neuesten Mode, den Pastoralen von Battista Guarini. Seine im Druck erschienenen Lieder waren die ersten, die Gedichte von Ben Jonson und John Donne an die Öffentlichkeit brachten. Man rühmte ihn lange als Erfinder der englischen lyra viol (eine Form der Viola bastarda). André Maugars, der feststellte, dass Ferrabosco der Ältere einen Stil des Akkordspiels auf der Grundlage der Lyra bastarda in England eingeführt hatte, bemerkte zu seinem Sohn, “grand Farabosco”, dass er unter den römischen Interpreten keine gesehen habe, deren Schmelz sich mit dem englischen Ferrabosco vergleichen ließe (“je n’en ay oüy aucun qui fust à comparer à Farabosco d’Angleterre”). Doch sein wesentliches Vermächtnis an uns sind die Fantasien für Viola da gamba. Ferrabosco verwandelte die meisten Arten von Kammermusik; auf diesem Gebiet war England provinziell geblieben, fast unberührt von den in Kontinentaleuropa gängigen Gattungen. Es stimmt, dass einige elisabethanische Autoren sich an Fantasien versucht hatten, doch abgesehn von dem eingeschränkten Stimmunfang, der sie für verschiedene Instrumentengruppen spielbar machen sollte (“per ogni sorti di strumenti”), waren sie doch nur die arme Verwandtschaft des raffinierten venezianischen ricercar mit seinem durchgehenden Kontrapunkt. Etwas von der Klanglichkeit und den Beschränkungen dieser älteren Musik ist übrigens in einer Fantasie zu hören, die wahrscheinlich versehentlich Alfonso dem Jüngeren zugeschrieben wurde, dem Werk Nr. 24, das nur in einer späten Kopie vorkommt. Wenn es sich nicht um eine irregegangene Motette handelt, könnte es sich aus dem Œuvre seines Vaters eingeschlichen haben (oder ebenso wahrscheinlich von einem Hofkomponisten der älteren Generation stammen, z. B. von John Bull mit seinen ähnlich düsteren Miniaturen, die sich erst halb von der Motette gelöst hatten). Ferrabosco vergößerte den Stimmumfang, aber wichtiger ist, dass er einen neuen linearen Stil entwickelte, der geschmeidige Ricercar-Themen mit den Rhythmen und dem Schwung der Kanzone verband. Sein unendliches Experimentieren umfasste auch subtile Modulationen, obwohl er den imitativen Stil beibehielt und somit das Modalsystem nicht ganz aufgeben konnte. Ebenso bedeutungsvoll war, dass es sich hier um zutiefst am Interpreten orientierte, instrumentengerechte Musik handelte. Kontrapunktische Kniffe machen nur einen Teil dieser Batterie von Effekten aus, denn er war äußerst wählerisch, was die eingesetzten Mittel anging: Vergrößerung an Kadenzpunkten und Höhepunkten gab es allemal, aber nicht die schwerer wahrnehmbaren Umkehrungen und krebsgängigen Themen. Dieses Maß an Neuartigkeit ließ sein vierstimmiges Schaffen noch für eine Generation nach seinem Tod zur populärsten und am häufigsten kopierten werden, auch wenn späte Anhänger seinen Stil mit der melodramatischen, italienisch beinflussten Chromatik durchsetzten, die er selbst mied. Die von ihm vorgegebene Formel hielt sich bis zu Henry Purcell um 1680, der als einer der wenigen anderen Autoren gelten darf, dessen Sammlungen zu vier Stimmen man ohne Übertreibung als vollendete “Kunst der Fantasie” bezeichnen kann. Doch Ferrabosco war der Pionier, der die Grenzen des Schicklichen absteckte. Nach ihm war an Themen und deren Umsetzung nichts mehr volkstümlich, denn der neue Barockstil errichtete auch neue Barrieren zwischen Genres. Sein Stil mit dem fortgesetzten Verweben von Motiven entstammt ganz eindeutig der Lyra viol. Das gilt auch für die großartigen fünfstimmigen Pavanen. Sie fließen in einer erhabenen Stimmung dahin, der von der strengen Tanzform befreit ist; ihr Kontrapunkt ist manchmal fast ganz ins Thematische aufgelöst, wie beispielsweise in der Dovehouse Pavan (der Beiname wurde wie manch anderer liebevoll von Amateuren des siebzehnten Jahrhunderts angefügt, ähnlich wie jene, die später den Haydnschen Quartetten beigemessen wurden). Andere Male gefiel es ihm, sich mit Ostinati oder Leitmotiven selber Beschränkungen aufzuerlegen, ganz wie Frescobaldi in seinen obblighi. Für die Pavane On Four Notes schrieb Ben Jonson einen Andachtsvers, Hear me, O God – mit dem er vielleicht instinktiv auf deren Themen und emporstrebende Stimmung reagierte.
Derart anspruchsvolle Musik braucht ihren Nährboden, und die Herrscher der frühen Stuart-Dynastie boten einige Zeit lang eben diese anspruchsvolle höfische Kultur, sowohl in Bezug auf den Hörer als auch auf den Interpreten. König Jakob (VI. von Schottland und I. von England) stand selbst im Ruf eines Kulturbanausen, aber seine Gattin, Königin Anne von Dänemark, gab sich nach der Erfahrung mit dem eher düsteren Zeitvertreib im schottischen Reich ihres Mannes von ganzem Herzen den Freuden ihres neu angenommenen Landes hin und verlangte zahlreiche Maskenspiele. Das Herrscherpaar gab riesige Summen für Vergnügungen aus. Wichtiger noch war, dass Ferraboscos Können ihn zum Lehrer für den ältesten Sohn Henry prädestinierten; der kriegerische junge Hofstaat des Prinzen von Wales im Rahmen des Königshofs war schon im Entstehen begriffen, noch ehe er 1610 zum Kronprinzen erhoben wurde. Hier fand sich ein neues Zentrum des Geisteslebens mit einer Lust am Experimentieren, die Ferrabosco erfreut haben muss. Doch all dies fand ein vorzeitiges Ende, als Henry unerwartet starb und seine Höflinge gezwungen wurden, sich zurückzuziehen. Jakob hatte begonnen, die Militanz seines Sohns als Bedrohung zu empfinden, und zwar nicht nur in Hinblick auf seinen eigenen Thron, sondern auch in Bezug auf seine Ambitionen, auf der europäischen Bühne als gravitätischer Staatsmann zu gelten. Sein eigenes Motto war “Beati pacifici”, gesegnet seien die Friedensstifter, obwohl der spanische Gesandte Diego Sarmiento de Acuña, der spätere Graf Gondomar, dahinter nur die krankhafte Angst des Königs vor körperlichen Schmerzen erkennen mochte, und den Realismus einer Kleinmacht, die sich gezwungen sah, ihre Gegner gegeneinander auszuspielen. Alfonso brachten die Palastrevolutionen wohl das, was sie dem kleinen Mann meist bringen: Wahrscheinlich fiel er unvermittelt in Ungnade, und das bedeutete natürlich das Ende seiner Zusammenarbeit mit Jonson und Inigo Jones (der vielseitige Designer, Architekt und Bewunderer des Baumeisters Andrea Palladio war bei Hofe zur entscheidenden Instanz in Sachen Eleganz aufgestiegen). Wenn es für Ferrabosco einen persönlichen Abstieg gab, lässt er sich aus der Musik nicht unmittelbar ablesen, denn keines der Manuskripte ist datiert; doch Alfonso hatte sich sicherlich ans gute Leben gewöhnt, und ohne zusätzliche Aufträge dürften nicht einmal seine vielfältigen Posten am Hof verhindert haben, dass er knapp bei Kasse war. In seinen Fünfzigern zeigte er sich jedenfalls unruhig und unzufrieden, wenn wir eine bemerkenswerte eidesstattliche Erklärung ganz ernst nehmen dürfen, die seine Schulden anderen zuweist und seine Pläne erwähnt, England auf immer zu verlassen. Aber wohin sollte er sich wenden? Zum Familiensitz in Bologna? Eine letzte Ernennung mag ihm das letzte Jahr erleichtert haben, eine seltene Bestellung zum offiziellen Hofkomponisten. Sie war ihm in der Vergangenheit vorenthalten geblieben, als sie von dem modischeren, aber oberflächlichen John Coprario aufgeschnappt wurde (bei dem es sich um einen inglese italianato handelte, der offenbar ursprünglich Cooper geheißen hatte).
Es mag sich niemals feststellen lassen, in welche Phase seiner Karriere man Alfonsos sechsstimmige Fantasien einordnen soll. Einige tragen den Stempel von Frühwerken, vielleicht aus der Zeit in den 1590er-Jahren, als er unter dem Einfluss der Bläser, die ihn aufzogen und einen erheblichen Teil der Hofkapelle stellten, zu seinem eigenen Stil fand. Sie hatten ein besonderes Repertoire von groß angelegter Musik für offizielle Anlässe wie Bankette oder Umzüge zur Hand. Das Neue bei Alfonso war die Umwandlung dieses Gelegenheitsrepertoires durch seine allumfassende Fantasienmanier, was ihm so geschickt gelang, dass er eine ganze Schule von Nachahmern anregte. Damit schuf er eine weitere Spezialität, eine einheimische Fortentwicklung, denn selbst die canzone der Gabrielis wiesen kein vergleichbares Maß an Organisation und Seriosität auf. Alfonsos Stücke wurden wiederum zu den meistkopierten der Epoche. Darüberhinaus scheint er auch der wesentliche Erneuerer des In Nomine gewesen zu sein, einer besonderen englischen Musikform, die in Kontinentaleuropa unbekannt war; sie war um die Zeit der Reformation unter ungeklärten Umständen aufgekommen und verarbeitete in kontrapunktischen Sätzen einen bestimmten, stets gleichbleibenden Choral des englischen Sarum-Ritus zum Osterfest, Gloria tibi, Trinitas. Kein Ausländer hatte sich je daran versucht, mit Ausnahme von Alfonsos Vater, der seinem Gastland damit wohl sein dauerhaftestes Vermächtnis hinterließ. Mit seinem üblichen Flair fürs Machbare schuf er eine leichtere Satzform in einer Gruppe von drei Vertonungen, die William Byrd und andere bald zu Nachahmungen inspirierten. In den 1590er-Jahren hatte das Interesse nachgelassen, und es war wohl das persönliche Interesse von Alfonso dem Jüngeren, das eine Wiederbelebung auslöste. Wiederum findet ein beständiges motivisches Spiel mit Fetzen aneinander gereihter Ideen statt, wobei manchmal mit neuem Schwung und Auftrumpfen der Vater zitiert wird. Das Ergebnis war, dass das In Nomine wieder bis in die Zeit von Purcell fortbestand, wobei man sich seiner kirchlichen Ursprünge nur schwach erinnerte, wenn überhaupt. Ähnliches gilt für Ferraboscos Renommee, auch wenn der größte Teil seiner Musik in die Regale der Biliotheken verbannt blieb. Der Oxforder Antiquar Anthony Wood kannte sie nur in diesem Zusammenhang, doch stellte er etwa fünfzig Jahre nach Ferraboscos Tod fest, dieser sei “in Bezug auf Fantasien zu fünf oder sechs Stimmen der berühmteste Mann in aller Welt” gewesen. Natürlich ist sein Einfluss noch unermesslich größer als das; doch ist dies keineswegs der schlechteste Ruf, den man der Nachwelt hinterlassen kann, und dahinter lässt sich Alfonsos Bild ja vielleicht doch erahnen.
DAVID PINTO
Übersetzung Anne Steeb / Bernd Müller
- Tracklisting
- Details
- Mitwirkende
Disk 1 von 1 (CD)
Five Part Dances
- 1 Dovehouse Pavan
- 2 Almaine
Four Part Fancyes
- 3 Fantasia no. 14
- 4 Fantasia no. 4
- 5 Fantasia no. 2
- 6 Fantasia no. 8
Five and Six Part Consorts
- 7 In nomine
- 8 Fantasia no. 3
Four Part Fancyes
- 9 Fantasia no. 24
- 10 Fantasia no. 5
- 11 Fantasia no. 7
- 12 Fantasia no. 9
Five And Six Part Consorts
- 13 Four Note Pavan
- 14 Fantasia no. 2
Four Part Fancyes
- 15 Fantasia no. 6
- 16 Fantasia no. 1
- 17 Fantasia no. 10
- 18 Fantasia no. 3
Six Part Consorts
- 19 In nomine
- 20 Fantasia no. 6