Von Eva zu Eva
In ihrem zweiten Roman nach „Die Gespenster von Demmin“, in dem es unter anderem um die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen ging, befasst sich Verena Keßler (Jahrgang 1988) nun mit einem Thema, mit welchem sicherlich viele Frauen aus ihrer Generation derzeit hadern: dem Kinderkriegen. Nun liegt hier keine Geschichte vor, die man in den vergangenen Jahren schon zuhauf auf den Veröffentlichungslisten vorgefunden hat. Es geht nicht um die Innenansicht einer einzelnen Frau, die das Für und Wider der Mutterschaft abwägt, während sie versucht bestmögliche Work Life Balance zu halten.
In „Eva“ betrachtet Keßler vier Frauen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und mit ganz unterschiedlichen Einstellungen zum Thema Mutterschaft. Da ist Sina, eine Journalistin, die zusammen mit ihrem Partner verzweifelt versucht schwanger zu werden, während in ihrem sozialen Umfeld gerade jede Frau entweder einen prallen Babybauch oder das schon geschlüpfte Küken vor ebenjenem stolz herumträgt. Da ist Eva, eine Lehrerin, die sich herausgenommen hat, einen provokativen Artikel zu veröffentlichen, in welchem sie darlegt, warum es für das Weltklima das Beste wäre, erst gar nicht mehr ein Kind in die Welt zu setzen, und dafür stark angefeindet wird, vor allem nach einem plakativ inszenierten Interview durch Sina. Da ist Mona, die Schwester von Sina, welche sich unverhofft und überrumpelt in einem anstrengendem Leben mit drei Kindern wiederfindet. Und die vierte Protagonistin, welche einem unsagbaren Verlust gegenübersieht.
Alle vier Protagonistinnen bekommen episodenhaft zusammenhängend in ihrem eigenen Kapitel den Raum, den sie benötigen, um als Leser:in ihrer Geschichte und ihren Einstellungen näher zu kommen. Wobei alle bis auf Eva aus der Ich-Perspektive heraus erzählen dürfen. Ausnahmslos allen Figuren kommt man durch den ungekünstelten und klaren Erzählstil Keßlers unglaublich nahe, ob man nun ihre Lebensentwürfe und Einstellungen grundsätzlich befürworten würde oder nicht. Es entsteht ein tiefes Verständnis und eine Nachvollziehbarkeit für sie und man fiebert mit jeder von ihnen mit. Die äußerst authentische Darstellung der Personen sorgt dafür, dass man unvoreingenommen ihre Geschichten erleben kann, ohne dass von Seiten der Autorin eine moralische Wertung vermittelt wird.
Der Facettenreichtum dieses Romans hat mich sehr begeistert, wenngleich mir zum Ende hin die Fäden zu stark auseinanderdrifteten, sodass ich das Gefühl hatte, es fehlt noch irgendetwas. Letztlich gibt es keine eindeutigen Lösungen für die angesprochenen Probleme, mit einer konkreteren Nachverfolgung der vier Leben hätte sich hier vielleicht ein runderes Bild ergeben. Ich weiß es nicht genau. Letztlich handelt es sich für mich um ein äußerst gelungenes Buch, welches sprachlich sehr solide geschrieben ist, in welchem ich mir aber auch keine ganz, ganz besonderen Sätze markiert habe, bei welchen ich dachte: „Mensch, da steckt jetzt so unglaublich viel in diesen wenigen Worten drin. Den Satz muss ich einer Freundin vorlesen.“ Zuletzt empfand ich es als nicht wirklich nachvollziehbar, warum Eva als einzige Protagonistin ein Kapitel aus der personalen Erzählperspektive heraus bekommen hat. Nahe kommt man ihr unzweifelhaft trotzdem, aber literarisch wurde mir die Entscheidung der Autorin hier nicht ganz klar.
Wenn verschiedene Generationen im Debütroman der Autorin schon eine wichtige Rolle spielten, so tauchen diese auch im vorliegenden Roman – thematisch in anderer Weise – wieder auf, wenn sie in Evas Kapitel schreibt:
„Wenn sie ehrlich war, gefiel ihr die Vorstellung sogar: eine Ahnenkette, die sich über Millionen von Jahren fortgesetzt hatte und nun endete – mit ihr. Sie würde sich nicht einreihen, sie bildete den Schlusspunkt, sie war diejenige, auf die alles hinausgelaufen war. Von Eva zu Eva.“
4/5 Sterne