Thema birgt großes Potenzial, leider wird dieses nicht voll genutzt
"Der Empfänger" von Ulla Lenze ist ein interessanter Roman für zwischendurch, wird aber leider nicht lange in Erinnerung bleiben. Ähnlich wie das Cover, hat auch der Roman einige Leerstellen, die einfach nur verschwommen bleiben.
Insgesamt gefällt mir die Art, Dinge auszudrücken. Es werden zwar die Emotionen nicht detailliert geschildert, aber die realen zeithistorischen Ereignisse und die Dynamiken der fiktiven Personen untereinander. Dabei werden auch im Wechsel verschiedene Jahre und Länder als Handlungsorte gewählt, so dass der Leser verschiedene Aspekte und Sichtweisen kennenlernen kann. Ich habe dadurch einige neue Informationen zu meinem bisherigen Wissen hinzugewonnen, was mir bei Romanen mit historischen Anteilen sehr wichtig ist.
Leider blieb allerdings der Hauptprotagonist, Josef Klein, um den sich alle Ereignisse aufbauen, sehr verschwommen. Es gelang nicht, sich von ihm ein klares Bild zu machen und ihn als Charakter sympathisch und menschlich zu empfinden. Nur anhand der Dynamiken untereinander und den Gedanken Josefs über seine Familie und Bekannten, konnte man sich einen ungefähren Eindruck verschaffen, was für eine Person er ist. Emotionen oder Charakterbeschreibungen fehlten nahezu völlig. Joe möchte nur für sich leben, ohne etwas darstellen zu müssen, Erwartungen gerecht zu werden. "Einfach sein. Irgendwann kam die Erkenntnis, dass einfaches Sein das Schwierigste war. Alle wollten irgendwas aus einem machen." Durch diesen schlichten Wunsch entgeht ihm, dass er nicht einfach nur Amateur-Funker sein kann, sondern sich stattdessen in das politische Streben der amerikanischen Befürworter der Deutschen verwickeln lässt. Besonders störte es mich an Josef, dass er durchaus weiß, was richtig wäre und dafür dennoch nicht eintritt.
Bis zum letzten Drittel des Buches fühlte es sich so an, als wäre der Leser immer noch im Prolog. Viele Dinge wurden angerissen, im Voraus angedeutet, aber es kam nicht richtig Handlung und Substanz in die Geschichte. Der Schreibstil vermochte es die Atmosphäre der Zeit gut einzufangen und die Handlungsorte bildhaft zu vermitteln. Nur leider gelang dies weniger bei den Charakteren. Diese blieben bis zum Schluss leicht verhangen. Es war nicht möglich ein klares Bild von ihnen zu entwickeln und so fehlte dieser Geschichte das entscheidende Etwas, was sie zu etwas besonderem gemacht hätte. Mit detaillierteren, klareren Informationen zu der Tätigkeit des deutschen Geheimdienstes in Amerika und stärkeren Charakteren hätte dieser Roman das Zeug gehabt, ganz besonders zu werden. Der noch nicht so oft beschriebene Blick auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges aus Sicht der deutschen Abwehr und der gelungene Schreibstil der Autorin bergen Potential, leider wird dieses nicht voll genutzt.
"Der Empfänger" von Ulla Lenze kann ich allen empfehlen, die gern historische Romane lesen und die oben genannten Einschränkungen in Kauf zu nehmen bereit sind.