Spannendes Abenteuer mit starken Hauptfiguren
In seinem historischen Roman „Die Mission des Kreuzritters“ versetzt Ulf Schiewe den Leser in das Jahr 1129, also in die Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Kreuzzug, als Jerusalem von Baudouin II. (1118-1131) beherrscht wird, der seine älteste Tochter Melisende zur Sicherung seiner Nachfolge mit dem Grafen Foulques d’Anjou verheiraten möchte. Doch seine widerspenstige Tochter lehnt den für sie ausgewählten Bräutigam heftig ab und flüchtet trotzig aus der Stadt zu ihrer Schwester Alice in Antiochia. Zu ihrem Unglück wird sie dann auf ihrem Weg dorthin überfallen und als Geisel mit nach Schaizar genommen, einer muslimischen Stadt, die vom Sultan ibn Munquidh regiert wird. Um sie auszulösen, schickt König Baudouin II. den ihm treu ergebenen Tempelritter Raol de Montalban nach Schaizar. Und zunächst scheint die Rückkehr nach Jerusalem auch ohne weitere Schwierigkeiten zu gelingen, doch dann greift ein illoyaler Verräter plötzlich in das Geschehen ein und erneut schwebt das Königreich von Baudouin II. in großer Gefahr.
Mit eindrücklichen, detaillierten und dichten atmosphärischen Beschreibungen lässt der Autor dabei die Vergangenheit sehr bildhaft lebendig werden, so dass man als Leser hervorragend in die damalige Lebenswelt und in die verschiedenartigen Handlungsorte eintauchen kann. Man merkt dem Text mit jeder Zeile an, dass der Autor viele Informationen sehr genau recherchiert hat, z.B. zur Geographie und Topographie, um nur zwei Beispiele zu nennen. Als besonders gelungen empfand ich auch die Schilderung der Schlacht- und Kampfhandlungen, in denen man als Leser regelrecht mitfiebert. Das macht diesen Roman zu einem sehr gelungenen Leseereignis. Beiläufig erfährt man dann in diesem Roman auch historische Hintergründe, z.B. etwas zum Leben im Harem, zur Rolle der Frauen zu jener Zeit, zu interreligiösen Wahrnehmungen, zur Praxis von Geiselnahmen, zur Lebenspraxis der Tempelritter, zum Leben am Hofe des Königs bzw. des Sultans etc.
Ein weiterer großer Pluspunkt betrifft die Charakterzeichnung der Figuren, welche – und das sei hier lobend erwähnt – nicht statisch angelegt sind, sondern sich im Laufe des Buchs entwickeln. In erster Linie sind hierbei die temperamentvolle, wehrhafte und stolze Melisende zu nennen, die einen Reifungsprozess durchläuft, sowie der heroische, kämpferische, aber auch desillusionierte Raol, der zu sich selbst findet. Beide Figuren tragen den Roman, mit ihnen fiebern wir mit. Und es sind starke Figuren, die der Autor hier entworfen hat. Neben diesen beiden Hauptfiguren treten noch weitere Charaktere hinzu, die ebenfalls facettenreich gestaltet wurden: der manipulative und gerissene König Baudouin II., dessen Verhältnis zu seiner Tochter sich im Laufe des Buchs positiv entwickelt, der diplomatisch geschickte und kühne Usama ibn Munqidh, Neffe des Emirs von Schaizar und dessen schlauer Verhandlungsführer, der durchtriebene Qilitsch ad-Din Mahmud, ein Verwandter des Emirs von Damaskus, sowie nicht zuletzt der arrogante und berechnende Foulques d’Anjou, potentieller zukünftiger Ehemann von der Thronerbin Melisende. Das Figurenensemble ist insgesamt gut aufeinander abgestimmt und konnte mich beim Lesen absolut überzeugen. Auch die Idee, fiktive und reale Charaktere miteinander zu vermischen und miteinander in Interaktion treten zu lassen, fand ich reizvoll. Zudem ist dem Autor positiv anzurechnen, dass er sich darum bemüht, die Charaktere der Figuren möglichst realistisch erscheinen zu lassen und sich bei seiner Charakterisierung an den realen Vorbildern orientiert.
Lediglich die Figur des Bräutigams, Foulques d’Anjou, hätte durchaus noch stärker ins Blickfeld des Autors geraten können. So wird er im ersten Drittel des Buchs als interessante Figur eingeführt, gerät dann aber im Laufe der Handlung immer mehr in den Hintergrund. Das fand ich etwas schade. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das Ende des Romans. So hätte ich mir eine andere Gestaltung des Beziehungsverhältnisses von Baudouin II. und Raol gewünscht. Abschließend möchte ich bemerken, dass ich mir noch Literaturhinweise am Ende des Buchs gewünscht hätte. So wüsste man, auf welche Quellen sich der Autor bei seinen Recherchen gestützt hat, und könnte als interessierter Leser evtl. auch noch das ein oder andere Buch ausfindig machen, das man begleitend als vertiefende Lektüre liest, um den historischen Hintergrund besser nachvollziehen zu können. Ich hätte mir z.B. gerne noch etwas Hintergrundwissen zu Melisende angelesen.
Fazit: Ein äußerst lesenswertes Abenteuer, mit starken Hauptfiguren und nur kleinen Schwachstellen, bei dem man beiläufig und sehr anschaulich historisches Wissen über die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kreuzzug vermittelt bekommt.