Wunderbar geschriebene Geschichte mit vielen interessanten Informationen über Porzellanherstellung
"Was eigentlich ist Porzellan? Jeder hat es, jeder kennt es. Aus dem eigenen Haushalt, den Museen oder Geschäften. Aber woher kommt es?"
Genau diese Frage hat mich neugierig gemacht, als ich "Ein neues Blau" von Tom Saller entdeckt habe. Die Geschichte schien Eindrücke aus der Arbeit mit Porzellan zu geben und damit die Thematik des Nationalsozialismus um einen neuen, interessanten Aspekt zu ergänzen. Zudem schätze ich Romane, bei denen zwei Handlungsstränge miteinander verwoben werden und eine junge Person aus dem reichen Erfahrungsschatz einer älteren lernen und daran wachsen kann.
Die erste Erwartung wurde vollkommen erfüllt. Auch wenn der Nationalsozialismus nicht detailliert aufgegriffen wird, erhält man umso mehr Einblicke in die Welt der Porzellanherstellung und - malerei. Neben den Details, die sich flüssig in die Erzählung einfließen, gibt es auch immer wieder Einschübe mit Zitaten aus anderen Werken über Porzellanherstellung. Ich konnte einiges neues Wissen aufnehmen und habe mich dennoch gut unterhalten gefühlt. Tom Saller ist es gelungen meinen Horizont auf angenehme, leicht aufzunehmende Weise zu erweitern. Auch einige Aspekte des jüdischen Glaubens und der jüdischen Traditionen waren mir noch nicht bekannt und haben mich sehr interessiert. Ganz besonders war eine Passage, in der versucht wurde, zu ergründen, warum jüdische Menschen bereits seit Jahrhunderten verfolgt und ausgegrenzt werden. Diese Frage kam verstärkt durch einen anderen Roman mit dem Thema Nationalsozialismus bei mir auf und der hier vorgebrachte Erklärungsansatz war sehr interessant und hat mich nachdenklich gestimmt.
Auch über die Welt des Tees habe ich noch das ein oder andere neue Wissen erworben. Ein Buch voller interessanter Hintergründe, die sich angenehm in die Geschichte einfügen.
Die zweite Erwartung eines gegenseitigen Von- und Miteinander Lernens über Generationen hinweg, ist für mein Empfinden etwas zu kurz gekommen. Ein großer Anteil des Romans wird Lili und ihrem Leben vor ihrer Hochzeit gewidmet. Lili ist eine interessante junge Frau, die eine besondere Kindheit leben durfte und sich nun mutig aufmacht, um neue Erfahrungen zu machen. Es fällt leicht eine Sympathie für Lili und auch für die Menschen, die sie auf ihrem Weg begleiten, zu entwickeln. Zudem liest sich ihr Heranwachsen sehr angenehm und interessant. Mir war jedoch zum einen das Ende zu abrupt. Nach Lilis Hochzeit wird ihr Leben nur noch sehr lückenhaft erzählt. Mir war das etwas zu übergangslos und ich hätte mir noch etwas mehr Hintergründe gewünscht.
Zum anderen wird auch Anja für meinen Geschmack etwas zu wenig Raum gegeben. Ich hatte mir erhofft, dass es mehrere tiefgründige Dialoge zwischen Lili und Anja geben würde. Diese Hoffnung wurde nicht ganz erfüllt. Was mir aber sehr gut gefällt, ist der veränderte Schreibstil, wenn Anja aus ihrer Perspektive erzählt. Dieser ist dann moderner, jünger und passt daher gut zu einem jungen Mädchen, das ihren Platz nicht mehr findet. Auch ihre positive Entwicklung, ihr beginnendes Erwachsenwerden, ist in dem Buch sehr schön herausgearbeitet.
Einen schönen, stimmigen Rahmen für die ganze Geschichte bieten Prolog und Epilog. Das hat mir außerordentlich gut gefallen, nehmen sie doch direkt aufeinander Bezug und stimmen daher gut auf die Geschichte ein und bieten dann einen harmonischen Ausklang.
"Ein neues Blau" von Tom Saller ist ein Roman, der vor dem Hintergrund einer wunderbar geschriebenen Geschichte viele interessante Informationen über Porzellanherstellung, Judentum und Tee bietet. Ein Werk, das gleichermaßen bildet und unterhält. Empfehlen kann ich es allen Lesern gut geschriebener Romane, die Freude daran haben ihr Wissen über die genannten Bereiche zu erweitern.
Am Rande möchte ich auch gern noch erwähnen, dass die Ullstein-Buchverlage ihre gebundenen Bücher nicht mehr in Plastikfolie einpacken, sondern diese lediglich mit einer kleinen Banderole versehen, die das Aufblättern verhindert. Diesen Ansatz, um Plastikmüll zu vermeiden, habe ich sehr positiv und deshalb erwähnenswert empfunden.