Christen in einer nachchristlichen Gesellschaft
Das Volk Gottes kann der Welt nicht erlauben, darüber zu bestimmen, wie es auf die Herausforderungen der Zukunft zu reagieren hat. (Seite 93)
Meine Meinung
„Resident Alien“ ist der nur schwer übersetzbare Originaltitel des Buches. Das „Fremdbürger“ des deutschen Titels geht aber in die Richtung dessen, was die Autoren gemeint haben. Indirekt weist das auf einen Satz von Jesus hin: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagte er zu Pilatus; eine Aussage, die im Laufe der Jahrhunderte bei den Christen anscheinend in Vergessenheit geriet, denn zu sehr war bzw. ist man Teil dieser Welt. Hierauf und auf sich daraus ergebende Folgen hinzuweisen, haben sich die Autoren zur Aufgabe gemacht.
Mit Konstantin begann es, so schreiben die Autoren, daß die Christen Teil der Welt wurden. „Man kann kein Reich beherrschen, in dem die Menschen an nichts glauben. Unsere besten Köpfe wurden auf das konstantinische Projekt verpflichtet, den Glauben gegenüber den jeweils Mächtigen glaubwürdig zu machen, so dass Christen Anteil an der Macht bekommen konnten.“ (S. 43) Und so begann denn der Weg fort von den Ursprüngen hin zu den Fleischtöpfen der Macht. Dieses Modell wird erst heute wieder in Zeiten zunehmender Säkularisierung infrage gestellt, da sich die Christen zunehmend in einer Welt wiederfinden, die ihren Grundüberzeugungen entgegengesetzt gestaltet ist.
Im ersten Teil des Buches mit der Überschrift „Abschied“ führen die Autoren diese ihre These weiter aus. Sie skizzieren die Entwicklung der „Welt“, die schließlich dazu führte, daß z. B. das Bombardement von zivilen Zielen im Krieg heute zu etwas geworden ist, was als „militärische Notwendigkeit“ angesehen und nicht hinterfragt wird (vgl. S. 48f). Sie machen deutlich, daß Christen in gewisser Weise blind wurden und über das Ziel hinaus schossen. Daß sie nicht mehr sahen, wo sie hätten Widerstand leisten müssen, einfach, weil sie zu sehr Teil der Welt geworden sind.
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Der Satz zeigt eigentlich deutlich auf, worum es im Grunde geht: Christen sind nicht berufen, in der Welt für deren Ziele und Überzeugungen zu leben und zu arbeiten, sondern sie sind in dieser Welt quasi eine Kolonie von „Fremdbürgern“, „Bürgern“ des Reiches Gottes, eine kühne Kolonie von Gläubigen in einer Gesellschaft des Unglaubens. (vgl. S. 79) In diese Richtung weist auch die Bergpredigt, die von den Autoren immer wieder und zentral zitiert und thematisiert wird.
Ein großes Augenmerk wird auch auf die Bedeutung der Kirche gelegt, wobei mich die starke und immer wieder kehrende Betonung der kirchlichen Gemeinschaft im Gegensatz zum Einzelnen nicht ganz überzeugen konnte. Interessant fand ich in diesem Zusammenhang, daß der Begriff „Kirche“ nicht weiter definiert oder eingegrenzt wurde, weshalb eigentlich so ziemlich jede Konfession diesen auf sich beziehen kann. Und in der Tat haben die Autoren so tief gegraben, sind so weit zu den Wurzeln zurückgekehrt, daß sie ein hohes Maß an Allgemeingültigkeit erreicht haben; auch als Katholik hatte ich wenige bis keine Schwierigkeiten mit ihrer Argumentation und ihren Schlußfolgerungen. In diesem Licht werden auch die Äußerungen von Papst Benedikt XVI. emer. über die „saturierte deutsche Kirche“ (sinngemäß aus dem Gedächtnis zitiert) verständlich und nachvollziehbar.
Im Untertitel taucht der Begriff der „nachchristlichen Gesellschaft“ auf. Mit ihrem „Weckruf“ zeigen sie deutlich Fehlentwicklungen auf und skizzieren, wie das Leben der „Fremdbürger“ und ihrer Kirche in dieser Welt wieder so ausgerichtet werden kann, daß es dem Plan und Willen Gottes entspricht. Zwar sind beide Autoren Amerikaner und beziehen sich demgemäß oft auf amerikanische Verhältnisse, doch fast alles läßt sich problemlos auf unsere europäischen bzw. deutschen Verhältnisse übertragen und hat diesseits des Atlantiks die gleiche Gültigkeit und Richtigkeit wie jenseits.
Die Autoren haben ein für Christen überaus wichtiges Buch geschrieben, dessen voller Inhalt und die sich daraus ergebenden Konsequenzen in ihrer ganzen Tragweite sich vermutlich erst bei mehrmaligem Lesen in ihrer Gänze erschließen.
Mein Fazit
Ein wahrer „Weckruf“ zur Nachfolge Jesu in einer nachchristlichen Gesellschaft.