Free Willy (Ruf der Freiheit) – Schicksalsjahre eines Prinzen
Viele kennen sich ganz ausgezeichnet mit der Deutschen, Französischen oder Englischen Geschichte aus, deutlich weniger hingegen mit derjenigen unseres Niederländischen Nachbarn. Aber genau um diese geht es im jüngsten Werk von Sabine Weiß: Mit einer Strophe aus „Oranje may-lied“ von Joost van den Vondel startet ihr neues Buch „Blüte der Zeit“ und bereits das beeindruckende und wunderbare Cover mit dem Brandenburgischen Adler im Zentrum zeigt, dass es sich dabei um den Abschluss ihrer fulminanten, als Trilogie angekündigten Holland-Serie handelt, die einst mit der grandiosen „Krone der Welt“ begann und mit „Gold und Ehre“ fortgesetzt wurde.
Schon auf den ersten Seiten stellt Sabine Weiß einmal mehr unter Beweis, dass die studierte Germanistin und Historikerin nicht nur eine erfolgreiche Krimi-Autorin, sondern auch im Genre der Historischen Romane fest verankert ist und die Niederländische Geschichte spannend und mitreißend darzustellen vermag. Ein umfangreiches Personenverzeichnis zeigt uns ferner, dass wir es wie gewohnt mit vielen Protagonisten zu tun haben, darunter eine erhebliche Anzahl an historischen Persönlichkeiten.
Die Handlung beginnt mit einem spannenden Prolog im Jahre 1667 bei einer Keilerjagd, an welcher der fiktive Paulus, Hans Willem Bentinck und der gesundheitlich angeschlagene und politisch nahezu entmachtete Prinz Wilhelm III. von Oranien beteiligt sind. Paulus wie auch Bentinck sind gute Freunde Wilhelms und buhlen mit unterschiedlichen Themen um die Position des besten Freundes und des engsten Beraters. Noch führt Johann de Witt in der Monarchie-freien Epoche der Republik der Sieben Vereinigten Niederlande die Staatsgeschäfte, doch dies wird sich schon bald durch den Überfall auf die Niederlande von einer Koalition der Königreiche England und Frankreich - maßgeblich durch den französischen Sonnenkönig Ludwig XIV., der eine Vormachtstellung gegenüber den spanischen und österreichischen Habsburgern erzielen wollte - ändern und Wilhelm III. wird nach dem grausamen Mord an den Gebrüdern de Witt der entscheidende Regent in Holland. In allergrößter Not und Bedrängnis lässt der im Buch recht ambivalente Wilhelm die Deiche und Schleusen öffnen, wodurch der französische Vormarsch erst einmal gestoppt wird, das Land aber auch in größeren Regionen geflutet wird und für viele Holländer eine Versorgung nicht mehr sichergestellt werden kann.
In einem zweiten Handlungsstrang lernen wir am Beispiel des jungen Landschaftsgärtners Max, dessen Vater bei dem französischen Angriff umkam und der dann mit seiner Mutter Debora und seinem Bruder Floris fliehen musste, das Leben und Schicksal der einfachen holländischen Bevölkerung kennen. Max ist mit Leib und Seele Landschaftsgärtner und Botaniker wie sein Vater und kennt sich bestens mit der gesamten Pflanzenwelt aus. Da die Mutter nach dem Tod des Vaters und durch die Flucht körperlich und seelisch sehr gelitten hat, kommt in erster Linie Max die Rolle zu, die Familie versorgen zu müssen. Die drei fliehen nach Brandenburg-Preußen zu Deboras Schwester Hester, wo wir auf einer dritten Handlungsebene die eher bürgerlichen Familien Schöppen und Huffretter kennenlernen, die in Cölln im Handel bzw. als Apotheker etabliert sind. Während Max und seine Familie bei den Schöppens zunächst erst einmal nicht gerade willkommen sind, lernen wir durch die Huffretters das Umfeld von Kurfürst Friedrich Wilhelm näher kennen, der nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges alles daran setzt, sein Land wieder aufzubauen und nach Versailler Vorbild mit Prunkschlössern, Lustgärten und Parkanlagen schmücken möchte. Auf dieser Basis wird dem Leser die gesamte Palette des Lebens in der damaligen Zeit und seines Kontrasts zwischen Adel, Bürgertum und normalem Volk vor Augen geführt und man darf zusammen mit den Protagonisten alle Höhen und Tiefen durchwandern: Flucht, Verlust, Armut, bis hin zur großen Liebe und Reichtum – von allem wird uns etwas geboten.
Was bei „Blüte der Zeit“ – ebenso wie bei seinen beiden Vorgängern - einmal mehr besticht, ist, dass das Historische dem Leser sehr ausführlich näher gebracht wird und so umfangreich gestaltet ist, dass es auch dem Geschichtskenner und -fan zu keinem Zeitpunkt langweilig wird. Der Schreibstil ist dabei leicht zugänglich und flüssig und es gelingt der Autorin über den gesamten, hervorragend recherchierten Roman hinweg Tempo und Spannung so hoch zu halten, dass man das Buch am liebsten nicht mehr aus der Hand legen möchte. Wunderbar wird man in der Person des fiktiven Paulus im Umfeld von Prinz Wilhelm III., Hans Willem Bentinck, Charles II. und des Herzog von Monmouth immer am Puls der realen niederländischen und englischen Geschichte gehalten und fast schon spielerisch wird man an die bedeutenden Persönlichkeiten jener Epoche auch in Brandenburg-Preußen heran geführt – Vorkenntnisse in der niederländischen und preußischen Geschichte mögen hierbei indes von Vorteil sein und den Lesegenuss durchaus noch steigern. Aber auch die emotionale Komponente kommt in persona von charakterstarken und facettenreichen Protagonisten wie Jerun, Georg, Annabelle, Elvina und Rosa und widersprüchlichen wie beispielsweise Dittrich Impen und seiner Frau beim Leser zu keinem Zeitpunkt zu kurz. Hierdurch gewinnt der Leser von der ersten Zeile des Prologs bis zur letzten im begeisternden Showdown das Gefühl intensiv und unmittelbar in die Handlung integriert zu sein und an keiner Stelle läuft der Plot hierbei Gefahr langatmig, undurchdacht oder unschlüssig zu wirken. Gekonnt werden die drei unterschiedlichen Handlungsstränge im Verlauf des Romans immer stärker miteinander verwoben und in weiten Teilen final auch zusammengeführt. Einziger Kritikpunkt mag jedoch sein, dass das Buch im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern mit 560 Seiten merklich kürzer ausfällt und die Zeitsprünge gegen Ende des Buches auch ein wenig größer geraten. Obwohl die historische Komponente bis hin zur Krönung Wilhelms zusammen mit seiner Gattin Mary II. Stuart zum Königspaar von England, Schottland und Irland im Jahre 1688 und der Glorious Revolution vollständig ist, mag bei manch einem Leser der Eindruck entstehen, dass die fiktive Geschichte seiner Protagonisten insbesondere um den Personenkreis in Cölln als nicht komplett zu Ende erzählt erscheint. Ein Glossar am Ende des Buches zusammen mit den Anmerkungen im Nachwort, die das Geschehen im Buch gut einordnen und die Absichten der Autorin verdeutlichen, runden einen rundum tollen Historischen Roman ab, der problemlos auch unabhängig von den anderen Bänden der Trilogie gelesen werden kann.
Fazit: Einmal mehr gelingt es Sabine Weiß durch ihren spannenden und bildhaften Schreibstil den Leser mitzureißen und auf eine großartige und abwechslungsreiche Reise ins 17. Jahrhundert der Niederlande, Englands sowie Brandenburgs mitzunehmen. Wer ihre Historischen Romane kennt, weiß, dass sie in „Blüte der Zeit“ nicht nur die Gartenarchitektur und den Landschaftsbau intensiv erkundet und alle historisch relevanten Orte selbst aufgesucht hat, sondern dem Leser vor allem auch sehr präzise den geschichtlichen Hintergrund zum Holländischen Krieg und zur Situation Brandenburg-Preußens in dieser Epoche vermittelt. Auch im Abschlussband ihrer Holland-Trilogie gelingt es der Autorin akribisch recherchierte Historie mit emotionaler Fiktion zu einem grandiosen Buch zu kombinieren und Geschichte lebendig werden zu lassen. Freunden des Historischen Romans und jedem, der an der niederländischen Geschichte und Kultur interessiert ist, kann „Blüte der Zeit“ nur ans Herz gelegt werden. Manch ein Leser dürfte durch ihre detaillierten Beschreibungen zum Aufsuchen der monumentalen Bauten und Barockgärten inspiriert werden. Wir dürfen gespannt sein, welche Thematik sich nun Sabine Weiß als nächstes vornehmen wird und wir in Form eines weiteren wunderbaren und bewegenden Werkes genießen dürfen.
von Michael_B_M