Sabine Sommerkamp: Im Herzen des Gartens - Tanka und Haiku. Eine Rezension von Rüdiger Jung
Einmal abgesehen von dem frühen Privatdruck „58 Haiku“ (Hamburg 1979) und den kürzlich erschienenen „17 Ansichten des Berges Fuji – Bilder und Tanka“ (Verlag Jumava 2020, Iudicium Verlag 2021) hat sich Sabine Sommerkamp drei weitere Male mit der Kurzlyrik nach japanischem Vorbild auseinander gesetzt, und jedes Mal in ganz unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichem Blickwinkel.
1984 publizierte sie ihre Dissertation „Der Einfluss des Haiku auf Imagismus und jüngere Moderne“, der nicht nur in Deutschland, sondern auch in Japan und den USA rasch den Rang eines Standardwerks zugebilligt wurde. 1989 erschien der Gedichtband „Lichtmomente“, der unter anderem Tanka, Haiku und Dreizeiler im Haiku-Metrum enthält. 1990 folgte das Haiku-Märchen „Die Sonnensuche“ in großartiger Aufmachung und einer Auflage von zunächst 8000 Exemplaren, das in mehrere Sprachen übersetzt und literarisch ausgezeichnet wurde.
Mit vorliegender Buchausgabe "Im Herzen des Gartens - Tanka und Haiku" ersteht vor den Augen der Tanka- und Haiku-Freunde nun diese vorzügliche Sammlung.
Strenge und sorgfältige Komposition prägen „Im Herzen des Gartens“. Die drei 12-teiligen Tanka-Zyklen haben eines der vornehmsten Themen der Waka-Dichtung zum Gegenstand: die Liebe! Es war das höfische Mittelalter Japans, das dafür die nuanciertesten und am meisten verfeinerten poetischen Aussagen traf. Man kann sich an den einzigen deutschen Dichter erinnert fühlen, der buchstäblich dem Impressionismus zugeordnet wird: Detlev von Liliencron (1844-1909). In gewissem Sinne wandelt die moderne Liebeslyrikerin Sabine Sommerkamp auch auf seinen Spuren, wenn sie ihre Tanka-Zyklen auf die hauchfeine Kunst höchster Modulation und Modifikation gründet. ... Sie ortet im Endlichen das Unendliche; sie trifft inmitten der Zeit die Ewigkeit. -
Aus einem der drei Tanka-Zyklen möchte ich als Beispiel ein Waka herausgreifen, das die hohe Achtsamkeit und Sensitivität der Autorin belegt:
"Abends kommt Wind auf, /
streicht sanft über mein Gesicht. /
Er weht von Osten, /
von dort, wo Du weilst. Er muss /
Deine Hand berührt haben." (S. 26) / -
Sabine Sommerkamp weiß genau und eingehend um die Wurzel des Haiku im Zen-Buddhismus. Sie ist eine der subtilsten dichterischen Stimmen, die das deutsche Haiku hervorgebracht hat.
Dazu abschließend ein Beispiel:
"Durch die Winternacht /
das Brechen eines Astes - /
Stille wie zuvor." (S. 80) / -
Mir ist, als hätte Sabine Sommerkamp im letzten Haiku ein Höchstmaß an Konzentration und Prägnanz erreicht. Ein ganz begrenztes, alltägliches Wahrnehmen, das gleichwohl ein Äußerstes an existentieller Tiefe auslotet: ein brechender Ast in der Winternacht. Ein so kostbarer Sinneseindruck, dass ihn die Schlusszeile gleichsam versiegelt: „Stille wie zuvor“. So fragil, so zerbrechlich, so hinfällig, so kostbar ist unser Leben im Hier und Jetzt, an beiden Enden unseres Daseins von einer Stille umgrenzt, die unausforschlich ist.