Doktor Schiwago - seine Veröffentlichung gleicht einem Thriller
Man mag seine Überzeugungen ablehnen oder annehmen, doch solange russische Dichtung in dieser Welt eine Bedeutung hat, solange wird Boris Leonidowitsch Pasternak zu den großen dieser Gattung gehören. (Seite 267)
Meine Meinung
„Einen solchen Roman nicht zu veröffentlichen, wäre ein Verbrechen an der Kultur.“ (S. 100), so das Urteil des Slawisten Pietro Zvetermich, als er von Giangiacomo Feltrinelli das Originalmanuskript zur Prüfung zugesandt bekam. Dieses Verbrechen hätte die Mächtigen der UdSSR am liebsten begangen, doch zum Glück für die Welt wurde es verhindert. Nachdem eine Veröffentlichung in der Sowjetunion nicht möglich war, gelangte das Manuskript an den italienischen Verleger Giangiacomo Feltrinelli, zu der Zeit noch Mitglied der italienischen KP. Gegen alle Widerstände veröffentlichte er eine italienische Ausgabe von „Doktor Schiwago“ - und legte damit den Grundstein für einen Welterfolg.
Der Untertitel ist insofern etwas unglücklich, als die Autoren viel weiter ausholen, als der vermuten läßt, und zunächst von Pasternaks Leben und Werk erzählen. Im November 1945 erwähnt Pasternak erstmals, daß er an einem (seinem einzigen) Roman arbeite, den er erst 1955 beenden sollte: Doktor Schiwago. Chruschtschow schreibt zwar in seinen Memoiren, daß man den Roman hätte veröffentlichen sollen, aber da war es längst zu spät. Wer weiß, wie die Geschichte gegangen wäre, hätte er das Buch während seiner Amtszeit (und nicht erst danach) gelesen?!
Besonders interessant fand ich es zu lesen, wie viel Autobiographisches Pasternak in seinem berühmten Werk untergebracht hat. Von der Krankheit Schiwagos, die er selbst auch hatte, bis hin zur Geliebten Lara, als deren reales Vorbild oft Olga Iwinskaja, die Geliebte Pasternaks, angesehen wird, um nur diese beiden Dinge zu erwähnen.
So nahm der Druck auf den Autor und seine Umgebung stetig zu, bis das Buch dennoch 1957 zuerst in Italien veröffentlicht wurde. Die Genossen tobten, Feltrinelli verlor ob deren Verhalten den Glauben an den Kommunismus und trat aus der KP aus - und die CIA wurde auf das Buch aufmerksam. Es war die Zeit des Kalten Krieges, die CIA ließ ihr passend anmutende Bücher auf Russisch drucken und in die UdSSR schmuggeln; "Doktor Schiwago" kam ihr da wie gerufen.
Heutzutage, in einem Zeitalter des Terrors, der Drohnen und gezielten Tötung, erscheint der Glaube der CIA - und auch der Glaube der Sowjetunion - an die Kraft von Literatur, die Gesellschaft umzuformen, beinahe kurios. (S. 296) Damals jedoch schien auch das Wort geeignet, um im Kampf gegen das Böse eingesetzt zu werden.
Minutiös haben die Autoren anhand von Zeugenaussagen und Unterlagen den Weg nachgezeichnet, den das Buch im Weiteren nahm, und wie die CIA es schaffte, russische Ausgaben in die Sowjetunion zu schmuggeln, auch wenn man damals alles tat, daß die Agentur oder die USA überhaupt nicht damit in Verbindung gebracht werden konnten.
Aber auch der Hassfeldzug gegen Pasternak, der sogar nach seinem Tod anhielt und sich gegen seine Frau und auch seine Geliebte Olga Iwinskaja und deren Tochter richtete, ist Gegenstand des Buches. Dabei wird deutlich, daß Pasternak niemals von seinem Vorhaben, das Buch zu veröffentlichen, abgelassen hatte - unbeachtet der Folgen, die das für ihn und die Seinen haben würde. Für ihn galt immer das, was er bei der Übergabe des Manuskriptes an den Boten, der es zum italienischen Verlag bringen sollte, gesagt hatte:
„Das ist ‘Doktor Schiwago’“, sagte Pasternak. „Möge der Text um die Welt gehen.“ (S. 18)
Kurzfassung
Die Veröffentlichung von „Doktor Schiwago“ gleicht einem Thriller und wurde zum Kampfmittel im Kalten Krieg - hier minutiös von den Autoren nachgezeichnet.